Wie können Christen helfen, die Wunden einer Gesellschaft, einer Stadt zu heilen? Von der Begegnungstagung von „Miteinander für Europa“ (MfE) in München berichtet Mitinitiator Gerhard Proß.

Begegnung von Mitgliedern des Netzwerkes „Miteinander für Europa“ in der Matthäuskirche in München
Zieht euch nicht zurück aus der Stadt, geht nicht ins Ghetto, sondern sucht den „Schalom“ der Stadt, Gottes umfassenden Frieden für sie; gestaltet mit, betet für sie – ohne euch ihr anzupassen. In diesem Satz verdichtet sich ein Tenor der Begegnungstagung, zu der das ökumenische Netzwerk „Miteinander für Europa“ (MfE) Ende Juni in die Münchner Matthäuskirche am Sendlinger-Tor-Platz eingeladen hatte. Etwa 300 Christinnen und Christen aus verschiedenen Kirchen, geistlichen Bewegungen und Gemeinschaften waren unter der Überschrift „Suchet der Stadt Bestes“ (aus dem Buch des Propheten Jeremia, Kap. 29, V. 7) mit dabei. Was kann es heißen, mitten in den Herausforderungen und Möglichkeiten dieser Zeit, „Salz und Licht“ für die Gesellschaft zu sein und für unsere Städte und für Europa das Beste zu suchen?
Das Thema, das die Theologinnen Dr. Janina Hiebel (Ökumenisches Lebenszentrum Ottmaring) und Deborah Dittmer (Leiterin Vineyard München) aus der Bibel ins Heute übersetzten, führte Jesús Morán (Kopräsident der Fokolar-Bewegung) fort: Die Stadt – womit alle Orte gemeint sind, an denen Menschen zusammenleben – könne nicht allein auf das von Platon, Aristoteles und Cicero formulierte Prinzip der Gerechtigkeit gebaut werden. Er schlug den Bogen zu Augustinus: „Gerechtigkeit allein reicht nicht aus, um eine Stadt aufzubauen. Sie bedarf vielmehr jener Liebe, die dem Leben Gottes entspringt … Die Liebe ist das Fundament einer Stadt. Das ist die Botschaft des Christentums.“ Es ist eine geistliche Botschaft, die auch die Gründerin der Fokolar-Bewegung, Chiara Lubich, angesichts der Zerstörung Roms im Zweiten Weltkrieg formulierte: Nur die Liebe sei in der Lage, die Stadt in einen Ort zu verwandeln, an dem Gott in die Geschichte der Menschheit eintritt und sie zur Heilsgeschichte werden lässt.
Mir ist in diesem Zusammenhang der Satz von Jesus wichtig geworden: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein“ (Matthäusevangelium, Kap. 5, V. 14). Dabei dürfen wir uns keine vom Flutlicht hell erleuchtete Stadt vorstellen. Wir müssen vielmehr die kleinen Häuser im damaligen Israel mit kleinen Öllampen im Inneren und ihren kleinen Fenstern vor Augen haben. Das ist die „Stadt auf dem Berge“, die Orientierung gibt! Oft gleichen unsere Gemeinschaften – und ihr Miteinander – eben nicht dem Flutlicht, sondern der kleinen Öllampe. Aber sie sind Hoffnungszeichen und Orte der Wärme und der Orientierung. „Hoffnung geben in schwierigen Zeiten“ – so haben wir als Leitungskomitee deshalb den Auftrag von „Miteinander für Europa“ formuliert. Unser Erleben von Einheit in Verschiedenheit, unsere Chance, immer wieder Versöhnung wagen zu können und Brücken zu bauen, das alles sind Zeichen der Hoffnung. „Suchet der Stadt Bestes – und betet für sie zum Herrn“ (Jeremia, Kap. 29, V. 7): Dort, wo in den Gemeinschaften und in ihrem Miteinander gebetet wird, entsteht ein Licht. Dort wächst Hoffnung, da verändert sich eine Atmosphäre.
Das Beste der Stadt suchen wir nicht, indem wir zu dominieren oder Macht auszuüben versuchen. „Sondern der Weg des Glaubens ist, zu dienen und zu lieben. So entfaltet sich der Schalom Gottes in der Stadt“, brachte es Dr. Reinhardt Schink (Vorstand der Evangelischen Allianz in Deutschland) auf den Punkt. Denn als Johannes in der Offenbarung getröstet wird, indem ein Engel seinen Blick auf den mächtigen Löwen von Juda lenkt, „sieht er statt des Löwen ein Lamm, das wie ein geschlachtetes Opfertier aussah (vgl. Offenbarung, Kap. 5, V. 4-6). Das Opferlamm, das sich selbst hingegeben hat, ist das einzige Wesen in der gesamten sichtbaren und unsichtbaren Welt, das die Weltgeschichte vollenden und zu einem guten Ende führen kann.“
Alle diese Linien haben wir mit den Stichworten „Inspiration, Hoffnung, Engagement und Miteinander“ zusammengefasst: Im von Liebe geprägten Miteinander versammeln wir uns um Jesus in unserer Mitte – und in dieser Haltung der Liebe zu unseren Städten und unserer Gesellschaft wollen wir uns engagieren. Ich staune noch im Nachhinein über diesen genialen Sound, der in München erklingen durfte und der uns den nächsten Takt der himmlischen Partitur so deutlich vor Augen geführt und ins Herz transportiert hat.
Rund um die MfE-Tagung
Nicht beabsichtigte Termin-Parallelität führte zu Dialog: Mit einer Gegenkundgebung nahe der Matthäuskirche wollte die Gruppe „FundiWatch“ darauf aufmerksam machen, dass ausgerechnet am Wochenende des Christopher Street Days (CSD) eine Veranstaltung von angeblich „christlichen Fundamentalist*innen“ stattfinde, die „von Vertretern der Amtskirchen unterstützt“ werde. Der ev.-luth. Regionalbischof von München, Thomas Prieto Peral, suchte die Begegnung mit den etwa 20 Teilnehmern der Kundgebung, um seine Teilnahme bei „Miteinander für Europa" (MfE) zu erläutern. Auch fünf Vertreterinnen und Vertreter von MfE suchten das Gespräch mit den Veranstaltern der Demo. Am Tag danach dankte „FundiWatch“ auf Instagram, „dass Sie (Regionalbischof Prieto Peral) sich unseren kritischen Fragen gestellt haben, der Dank geht auch an die anderen Teilnehmer*innen von der Veranstaltung von MfE, mit denen wir ins Gespräch kamen.“ Auch wurde hier die beiderseitige Dialogbereitschaft benannt: „Wo die Grundlage für einen Dialog besteht, wollen wir ihn nutzen. Und den Eindruck hatten wir heute.“
„Miteinander für Europa“ ist seit gut 25 Jahren unterwegs. Das Netzwerk von zurzeit etwa 300 Gemeinschaften aus der evangelischen, freikirchlichen und katholischen Welt wurde 1999 gegründet. Es steht auf der Grundlage eines Bündnisses der gegenseitigen Liebe, das Menschen und Gemeinschaften verbindet und auch in München wieder erneuert wurde.