Unser neues PRAXIS-Buch „ONE. Die Jesus-Ökumene“ ist da! In unserem Talk diskutieren wir, welche positiven Impulse Christen gemeinsam in unserem zunehmend gespaltenen Land setzen können.

In „ONE. Die Jesus-Ökumene“ dreht sich alles um das Thema Einheit. Das aktuelle Buch unserer Reihe PRAXIS – geistesgegenwärtig glauben und leben blickt auf theologische Grundlagen und die unterschiedlichsten Dimensionen christlicher Einheit: Wie funktioniert sie in Ehe und Gemeinde, wie in Stadt und Region – und wozu ist das gut? Warum hat Jesus so inständig dafür gebetet? Außerdem fragen wir, wie die Einheit unter Christen ganz praktisch zum Segen für eine Gesellschaft wird, die auseinanderzudriften scheint – durch unser Gebet, unser gemeinsames Zeugnis für Christus und innovative Projekte (ihr könnt das Buch bestellen, den Inhalt seht ihr hier).

Gerhard Proß

Sieglinde Schulz

Ulrike Propach
© Simone M. Neumann, Berlin
In unserem Talk greifen wir aus der Vielzahl der Dimensionen von Einheit eine besondere heraus: unsere Wirkung als Christen in der Gesellschaft. Dazu spreche ich mit Gerhard Proß, Mitinitiator des internationalen ökumenischen Netzwerks „Miteinander für Europa“, in dem mehr als 300 Gemeinschaften aus verschiedenen Kirchen aktiv sind. Gerhard Proß hat uns bei „ONE“ beraten und ist einer unserer Autoren. Sieglinde Schulz ist Krisenbegleiterin und Lerncoach aus Berlin und Mitglied in unserem Redaktionsteam. In „ONE“ schreibt sie über gelingende Kommunikation. Ulrike Propach ist Kommunikationsmanagerin und Soziologin. Als Pressesprecherin der Studie „Jugend in Deutschland“ hat sie einen geschärften Blick für die junge Generation. Sie zählt sich zur GGE Südbayern.
Ich bin Eva Heuser und Redaktionsleiterin der PRAXIS-Reihe.
Frau Propach, für wie gespalten hält die junge Generation unsere Gesellschaft?
Ulrike Propach: Laut den Daten, die im Mai im Rahmen der Studie „Jugend in Deutschland“ publiziert wurden, sehen 48 Prozent der 14- bis 29-Jährigen diese gesellschaftliche Spaltung. Die Zahl ist nicht besonders hoch. Das kann damit zusammenhängen, dass die Familie, die in und nach den Pandemiejahren als Anker erlebt wurde, mit Platz 1 in den letzten Jahren immer einen unglaublich hohen Wert erreicht hat und das Miteinander der Generationen im eigenen Leben positiv empfunden wird. Junge Leute blicken mehrheitlich positiv auf ihr persönliches Leben und ihre Zukunft (60 Prozent), machen sich aber insgesamt wirklich Sorgen um die Gesellschaft.
Bei der Familie geht es um tragfähige, vertrauensvolle Beziehungen in der kleinsten Zelle der Gesellschaft; damit sind wir mittendrin in den Themen unseres neuen PRAXIS-Buches „ONE. Die Jesus-Ökumene“. Wir Menschen sind von Gott zur Gemeinschaft mit ihm und miteinander geschaffen. Beziehungslos überleben wir nicht – wieso aber kriegen wir oft nicht besser hin, was wir so dringend brauchen?
Gerhard Proß: Die biblische Urgeschichte gibt uns eine geniale Folie, um unser Menschsein zu verstehen. Was geschah nach dem Rauswurf aus dem Paradies? Der Brudermord. Es ist verrückt, wie tief der Kampf um Anerkennung und unser vermeintliches Recht in uns steckt – auch in uns Christen. Denken wir nur daran, was in der von Paulus gegründeten Gemeinde in Korinth los war: Wer ist der Größte? Wer ist der Beste? Oder in der Apostelgeschichte, als die griechischen Witwen vernachlässigt wurden (vgl. Apg 6): Plötzlich richtete sich der Blick wieder auf das Eigene, obwohl sie in der Urgemeinde doch ein Herz und eine Seele waren und alles – von der Auferstehung Jesu bis zur Ausgießung des Heiligen Geistes – noch ganz frisch war.
Auf die Korinther blicken wir in „ONE“ auch. Gerhard, du berichtest im Buch, wie der Heilige Geist Momente initiierte, in denen konfessionelle Barrieren überwunden wurden und das Netzwerk „Miteinander für Europa“ entstand. Braucht es für mehr Einheit mehr Heiligen Geist?
Gerhard Proß: Ja, mit Sicherheit – und immer wieder die Weitung unseres Blicks. Chiara Lubich [Gründerin der Fokolar-Bewegung und Mitgründerin von „Miteinander für Europa“, Anm. d. Red.] sagte damals: „Hat nicht jede geistliche Bewegung und Gemeinschaft ein besonderes Charisma?“ Das hat unseren Blick geweitet. Wir haben einander dann besucht, und zwar nicht in der Haltung, was an der anderen Gemeinschaft theologisch fragwürdig sein könnte, sondern mit der Frage: „Wo erkenne ich Christus im anderen?“ Neben tief berührenden Geist-Momenten, die uns auf dem Weg des Miteinanders geschenkt wurden, war dieser bewusste Schritt einer der wichtigen Schlüssel zur Einheit.
Das Thema Einheit, Zusammenhalt oder Verbundenheit ist relevant für die Gesellschaft, die im Grunde ein großes Netz aus Beziehungen ist. „Es gibt keinen Bereich der emotionalen Gesundheit, der nicht mit dem Thema Verbundenheit zu tun hätte“, schreibt der katholische Theologe Johannes Hartl (in Eden Culture). Wie kann es sein, dass junge Leute ihr persönliches Leben so positiv einschätzen, das große Ganze der Gesellschaft aber eher nicht?
Ulrike Propach: Das liegt an der Art und Weise, wie wir Mensch sind. Das eigene Lebensumfeld können wir besser einschätzen; wenn wir in der Familie einen Anker und Unterstützung finden, reift das Wissen, dass wir aufgefangen werden, auch wenn wir mal scheitern. Dann ist Optimismus auf uns selbst bezogen lebbar. Sind wir dazu gläubig, trägt uns auch die persönliche Beziehung zu Gott – und die Gemeinde, der wir uns zugehörig fühlen. Gesellschaftlich aber kommen wir nun seit Jahren schon aus dem Krisenmodus nicht mehr heraus: Wir leben in einem Wahnsinnschaos, das wir nicht mehr nachvollziehen oder einschätzen können, und in unserer hochinformierten Zeit bleiben viele dieser Probleme als Dauerkrisen in uns. Und deshalb machen wir uns Sorgen. Dann aber auf Christus schauen und loslassen zu können im Wissen, durchgetragen und niemals verlassen zu werden, löst ein paar Probleme quasi von allein.
Sieglinde, du kennst dich als Coach mit Krisen aus. Wie können Zuversicht und erlebter Zusammenhalt größere Kreise ziehen?
Sieglinde Schulz: Christliche Gemeinden sind Orte, wo Menschen eine positive „Familienerfahrung“ im nächstgrößeren Kontext machen können. Ich war lange in einer Gemeinde mit einer wachsenden iranischen Community. Einer brachte den anderen mit – auch viele, die mit dem Glauben gar nichts am Hut hatten. In der Gemeinde erlebten sie christliche Nächstenliebe hautnah: ein Stück Geborgenheit und Sicherheit, aber auch konkrete Hilfe und ein offenes Ohr für ihre Nöte. Dort gibt es auch sehr viele sozial schwache Menschen aus kaputten Familien: Die Grunderfahrung einer positiven Bindung erleben sie in ihrer eigenen Familie nicht mehr – ihnen bietet die Gemeinde eine Chance, Liebe, Freiheit und Geborgenheit zu erfahren. Lernen sie dann noch Jesus kennen, erfahren Vergebung und können vergeben, werden sie mit dem Heiligen Geist erfüllt und erleben Gottes Freude und Heilung, dann ist das großartig. Da ist Gemeinde hoch aktuell. Ich bin schon in sehr vielen Gemeinden unterschiedlicher Ausprägung gewesen und weiß aber auch, dass es schwierig sein kann, Einheit in der Vielfalt zu leben.
Wie kann Einheit unter Christen im noch größeren gesellschaftlichen Rahmen Früchte tragen? In „ONE“ finden sich dazu spannende Ansätze.
Gerhard Proß: Der damalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hatte 2002 darum gebeten, dass Christen in Europa ihre Stimme erheben. Aus diesem Impuls heraus haben wir die Großveranstaltung von „Miteinander für Europa“ mit zehntausend Leuten 2004 in Stuttgart durchgeführt. Das entfaltet schon positive Wirkung in die Gesellschaft. Am 9. Mai 2025 haben wir zu „75 Jahre Schuman-Erklärung“ [die als Gründungstext der europäischen Einigung gilt, Anm. d. Red.] eine Begegnung in Brüssel zwischen EU-Abgeordneten und jungen Leuten organisiert. Robert Schuman als französischer Außenminister wollte 1950 mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem italienischen Ministerpräsidenten Alcide De Gasperi vom Versöhnungsgedanken her auf ein christliches Fundament aufbauen – was da zwischen Deutschland und Frankreich so kurz nach dem Krieg passierte, war gewaltig. Das wollten wir wieder ins Bewusstsein rufen, denn die christliche Basis der EU war so weder den jungen Leuten noch den EU-Abgeordneten mehr bewusst. Wir leben heute in einer Zeit der Polarisierung und der Fliehkräfte. Nationale Egoismen kommen hoch, „America first“ macht Schule. Wir sind bei „Miteinander für Europa“ überzeugt, dass wir als Christen der Kitt der Gesellschaft sein sollen, indem wir in die Spaltungen hineingehen und das Verbindende suchen.
Wie soll das praktisch aussehen?
Gerhard Proß: Der erste Schritt ist: Sind wir bereit zum Dialog? Das kann heute allerdings, wo sich so viele voneinander abgrenzen, schon reichen, um abgestempelt zu werden. Bei einem Treffen von „Miteinander für Europa“ hatten wir einen Gast aus der ungarischen Regierung. Einige von uns wollten ihn nicht hereinlassen – obwohl er ein liebevoller Christ war, der seinen Glauben lebte. Oder bei einer Veranstaltung im letzten Jahr waren die Grünen als Erste bereit, uns einen Raum zu geben und mit uns ins Gespräch zu kommen. Kritisch wurde es, als Leute jenseits der CDU bereit waren, mit aufs Podium zu kommen. In den Riss treten heißt aber, dass ich mit beiden Seiten reden will. Wie widerstehen wir dem Drang, uns nur noch gegeneinander abzugrenzen? Wie schaffen wir es, Beziehungen herzustellen?
Ulrike Propach: Der Soziologe Karl Otto Hondrich hat als einer der ersten diese heutige Individualisierung thematisiert: „Was tut mir gut? Wie grenze ich mich ab? Was ist ,mein Ding’?“ Ganz viel dreht sich um die eigene Person. Gleichzeitig laufen wir vielem aber auch einfach hinterher: Im Politischen folgen Menschen zum Beispiel häufig blind denen, die einfache Parolen anbieten. Dass die Gesellschaft Risse bildet, können wir auch an der Schere zwischen arm und reich oder zwischen gebildet und ungebildet erkennen – das ist der soziologische Blick auf das Thema. Gleichzeitig finde ich in der Bibel aber auch noch eine ganz andere Perspektive: Im Gleichnis von den Schafen und Böcken trennt Jesus die Gesellschaften der Welt, indem er sagt, wer zu ihm gehört und wer nicht (vgl. Mt 25,31-46). Er macht das an unserem Verhalten gegenüber den Bedürftigen fest: Schicken wir diejenigen, die in Nöten sind, weg? Oder heißen wir sie willkommen und tun alles, was Christus uns aufgetragen hat, in der Kraft des Heiligen Geistes? Diese Klarheit empfinde ich letzten Endes als positiv: Ich glaube, hier trennt sich in den Gesellschaften der Welt gerade etwas und Gott bietet jedem die Chance, sich für eine Seite zu entscheiden. Außerdem können wir die weltweite Lage als schönsten Fingerzeig verstehen, dass Jesus kommt, wir bei ihm bleiben sollen und er uns helfen wird – statt die Nachrichten anzuschalten und uns davon überrollen zu lassen. Ich glaube, in dieser multiplen Krisenlage geht uns der Blick auf Christus oft verloren.
Sieglinde Schulz: Im kleineren Rahmen wirkt auch Gemeindearbeit in die Gesellschaft hinein. Durch verschiedenste Gruppen, Bibel- oder Hauskreise können wir biblische Werte und Gottes Liebe vermitteln. Rund um unsere Gemeinde hat die AfD in Berlin mit die meisten Wähler. Wenn dann entsprechende Ansichten an den Kaffeetisch oder in den Hauskreis kommen, können wir aufzeigen, was Jesus zum Bashing und Ausgrenzen von Menschen sagt. Ich habe ganz oft erlebt, dass Leute ihre kategorische und vorurteilsgeladene Meinung – von rechts wie von links – aufgegeben oder infrage gestellt haben und andere aus dem „entgegengesetzten Lager“ an sich heranlassen konnten. Manche Gemeindemitglieder waren insbesondere bei den Migranten in der Gemeinde anfangs sehr zurückhaltend. Indem sie sie aber kennenlernten und die Migranten sich ins Gemeindeleben einbrachten, hat sich in ihrem Denken eine Menge verändert.
Gerhard Proß: So erlebe ich es auch: Die Begegnung und das Aufeinander-Hören relativieren radikale Bilder und bringen uns in ein Miteinander. Beziehen wir unsere Informationen aber nur aus Medien, finden wir uns vielleicht plötzlich in einer „rechten“ wie „linken“ Radikalität wieder und machen die Schotten dicht. In der persönlichen Begegnung aber entdecken wir vielleicht, dass der andere gar nicht so schlimm ist. Die Schwierigkeit ist nur: Wenn wir als Christen in einen gesellschaftlichen Riss zwischen verschiedenen Gruppen treten, wird meistens von rechts und von links auf uns eingeschlagen.
Das bringt mich auf den Historiker Timothy Garton Ash, der sich für eine „robuste Zivilität“ ausspricht: Wir sollten mehr Debatte aushalten, nicht gleich überreagieren und uns unseren Anstand bewahren. In „ONE“ wird deutlich, dass auch die Einheit unter Christen nicht „Vereinheitlichung“ meint, sondern Einheit in und trotz unterschiedlicher Meinungen. Dieses Prinzip in die Gesellschaft einzubringen, würde am Ende auch unsere Demokratie stärken.
Ulrike Propach: Ich glaube, wir haben auch unsere Fähigkeit zum Diskurs, zur Debatte verloren. In Gesprächen fällt es uns zunehmend schwer, die Position des anderen zu erfassen und ihm nicht gleich mit der eigenen Ansicht ins Wort zu fallen. Anteil daran hat unsere Leistungskultur, in der nur der Erfolg zählt, und haben die Pandemiejahre, in denen die Ansichten vor allem junger Menschen nicht gehört wurden. Bald leben wir in einer Gesellschaft, in der diejenigen Verantwortung tragen, die gelernt haben, dass sie nicht gefragt werden. Wie soll da Demokratie wachsen und auch in Krisenzeiten ein Bollwerk sein? Und doch lerne ich aus der „Jugend in Deutschland“-Studie, dass die jungen Menschen immer noch bereit sind, ins Miteinander zu gehen, auch bei kritischen Themen wie der Rente. Natürlich braucht es auch einen unglaublichen Teppich an Gebet, damit das Miteinander in unserem Land und in Europa wieder wächst.
Mit der Bitte um ein kurzes Statement am Ende: Wie können wir als Christen den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern?
Gerhard Proß: Auf der menschlichen Ebene braucht es Begegnung und Aufeinander-Hören. Auf der geistlichen Ebene braucht es Gebet, weil sich die Atmosphäre in unserem Land auch dadurch verändert.
Sieglinde Schulz: Indem wir in liebevolle Beziehungen investieren und versuchen, den Himmel auf die Erde zu holen – das geschieht, indem wir in Jesu Geist und in seiner Liebe miteinander umgehen.
Ulrike Propach: Mit dem Mut, politisch aktiv zu sein – über eine Parteimitgliedschaft oder als unabhängiger Kandidat. Zweitens, indem wir ins „Trotzdem“ gehen: auch wenn die Zeiten schwierig und komplex sind, trotzdem in unsere Familie, unsere Nächsten und alle, die Gott uns über den Weg schickt, zu investieren.
Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Die neue Buchreihe PRAXIS – geistesgegenwärtig glauben und leben
Das neue Format will einzelne Christen und Gemeinden durch praxisrelevante Themen „für die Erfüllung ihres Dienstes zurüsten“ (Epheser 4,13). Theologische Basics, Artikel zur praktischen Umsetzung, lebensnahe Erfahrungen und Hintergrundwissen sollen helfen, ein Thema ins eigene Leben und in die Gemeindearbeit zu übersetzen – weil jede Generation wieder neu in der Kraft des Heiligen Geistes lebt und dient. Mehr dazu hier auf dem GGE-Blog!
Die GGE Deutschland gibt die Buchreihe seit 2025 gemeinsam mit der Katholischen Charismatischen Erneuerung, der GGE im Bund EFG und GEISTbewegt im Bund FeG heraus. Die zugehörige Website bietet zu jedem Buch weiterführendes Material an (aufrufbar über einen Freischaltcode im Buch).
Lieferbar sind:
„SEGNEN“ – ISBN 978-3-9818340-7-9, Einzelpreis 14 Euro (100 S.).
„ONE. Die Jesus-Ökumene“ – ISBN 978-3-9818340-8-6, Einzelpreis 16 Euro (124 S.)
Für Gruppen und Gemeinden bieten wir Paketpreise ab 10 Ex. an: 10 Euro („SEGNEN“) bzw. 12 Euro („ONE“) pro Buch. Bitte bestellen unter: info@gge-verlag.de, Tel. (05541) 954 68 61.
Die nächste Ausgabe „LOBPREIS“ erscheint im Mai 2026.
