Griff nach der Macht #1: Christen um Trump wollen die Vereinigten Staaten zu einer christlichen Nation formen. Bob Griffing, US-Amerikaner und Christ, teilt seine Sorge mit uns und klärt Hintergründe auf. Start unserer vierteiligen Interview-Reihe.

Seit Donald Trumps erster Amtszeit als US-Präsident nehmen zwei Strömungen unter amerikanischen Christen immer mehr an Fahrt auf: ein christlicher Nationalismus und eine apostolisch-prophetische Bewegung, die oft verkürzt mit dem Schlagwort „New Apostolic Reformation“ bezeichnet wird. Beide sind nicht identisch, aber eng miteinander verknüpft. Beiden liegt eine hoch problematische Theologie zugrunde und ein verqueres Verständnis dessen, was das „Reich Gottes“ meint, von dem Jesus im Neuen Testament spricht: Christen sollen an Schlüsselpositionen in Gesellschaft und Politik Macht erlangen und ausüben und den vermeintlichen „Willen Gottes“ „top-down“, also von oben nach unten durchsetzen, zur Not auch mit Gewalt. Diese demokratiefeindlichen Vorstellungen setzen innerhalb der unabhängigen charismatischen Bewegung in den USA Trends, die uns in der GGE Deutschland als ebenfalls charismatischer Bewegung mit großer Sorge erfüllen. Deshalb widmen wir dem Thema eine mehrteilige Reihe auf unserem Blog. Wie wir als GGE das Reich Gottes verstehen, lest ihr hier.
Eva Heuser spricht dazu mit Robert Griffing, der als US-Amerikaner seit 1978 immer wieder über Jahre hinweg in Deutschland gelebt hat und viele Jahre lang Mitarbeiter von Jugend mit einer Mission (JmeM) Deutschland war. Seit er 1972 als Schüler zum Glauben an Jesus kam, sieht er sich im charismatischen Spektrum beheimatet; er hat viele geistlich prägende Persönlichkeiten in den USA kennengelernt und sich intensiv mit den Entwicklungen dort auseinandergesetzt.
Heute in Teil 1: Die Sorge um die Mitchristen in den USA.
In Teil 2 (15.1.26) geht es um die Akteure in den USA und um die gefährlichen Aspekte ihrer Lehre. Teil 3 (29.1.26) thematisiert deren selektives Bibelverständnis und was wir dem entgegenhalten können, Teil 4 (26.2.26) die Auswirkungen, mit denen wir in Deutschland zu tun haben.
Bob, du bist US-amerikanischer Staatsbürger, Christ mit charismatischer Prägung und lebst in Deutschland. Was du von Mitchristen in den USA wahrnimmst, die deine geistliche Ausrichtung teilen, bereitet dir Sorgen. So große, dass du unlängst bei einem Treffen charismatischer Leitender in Deutschland einen Hilferuf an die Gruppe gerichtet hast. Worum ging es dir da? Es kommt ja nicht oft vor, dass Amerikaner uns Deutsche um Hilfe bitten …
Mein Anliegen ist das amerikanische Volk Gottes, von dem große Teile gerade in die Irre gehen. Als Teil einer bedeutsamen Minderheit US-amerikanischer konservativer Christen betrachte ich die politische Lage in den USA und die der Christen dort mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Trauer. Ich spürte während der Lobpreis- und Gebetszeiten auf dem „Treffen von Verantwortlichen“, wie der Herr mein Herz weich machte hinsichtlich der Mitchristen in meinem eigenen Land, den USA. Ich habe bei dem Treffen dann mehrere Punkte als Anregung genannt, um gemeinsam in die Fürbitte zu gehen.
Welche Punkte waren das?
Zuerst ging es darum, nach dem Vorbild der alttestamentlichen Propheten Daniel und Nehemia im Gebet für das eigene Land einzustehen: „Ich und mein Volk haben gesündigt“ [vgl. Nehemia, Kap. 1, V. 6-7, und Daniel, Kap. 9, V. 3-20]. Meine Haltung hatte sich geändert: Dachte ich zuvor über den christlichen Nationalismus und die „New Apostolic Reformation“ in den USA, wie furchtbar es ist, „was die da tun!“, empfand ich nun tief, „Herr, sei uns Christen in Amerika gnädig, wegen dem, was wir tun!“ Gott führte mich in eine stärkere Identifikation mit meinen eigenen Leuten. Der zweite Punkt ist: Es ist sicher gut dafür zu beten, dass Gott Donald Trump und sein Chaos einhegt, um Schaden zu mindern. Aber noch mehr beschäftigt mich, dass Teile des amerikanischen Leibes Christi auf einem völlig falschen Weg sind: Der große Teil der Trump nahestehenden Christen in Amerika, die „Christian Nationalists“ glauben, dass endlich die Wiederherstellung der USA als christlicher Nation begonnen habe, seitdem Trump wieder im Oval Office ist. Sie sehen sich „am Ziel“ und bereit, die Gipfel der „sieben Berge“ zu erobern [nach dem „Seven Mountain Mandate“, wo sieben zentrale Gesellschaftsbereiche ausgemacht werden – Familie, Kirche, Bildung, Politik, Medien, Kunst/Unterhaltung, Wirtschaft/Wissenschaft/Technik]. Ich stelle fest, dass genau das Gegenteil wahr ist: Wir amerikanische Christen sind stattdessen wie die Gemeinde in Laodizea in der Bibel – wir denken, wir sind „reich“ und uns gehe es gut, aber in Wahrheit sind wir „elend und jämmerlich […], arm, blind und bloß“ (Offenbarung, Kap. 3, V. 17). Ich glaube, Gott sieht mindestens große Teile des Leibes Christi in Amerika so.
Und darum wünschst du dir Hilfe von Christen in Deutschland?
In der Apostelgeschichte empfängt Paulus nachts diesen Hilferuf aus Mazedonien: „Komm herüber […] und hilf uns!“ (Kap. 16, V. 9). In den 1980er- und 1990er-Jahren habe ich in Deutschland miterlebt, dass viele Impulse aus Nordamerika herübergeschwappt sind. Nicht alles davon war und ist gut, aber manches davon hat dem Leib Christi hier geholfen. Jetzt brauchen wir in den USA Hilfe. Wir sind die Schwachen – obwohl wir meinen, dass wir die Starken wären.
Wie könnte diese Hilfe konkret aussehen?
Vielleicht sehen sich einige von Gott beauftragt, regelmäßig für den Leib Christi in Amerika zu beten. Vielleicht werden auch theologisch gut fundierte Stimmen in Deutschland laut und finden einen Weg, solide biblische Theologie zu diesen Themen nach Amerika zu kommunizieren. Es geht aber nicht darum, eine möglichst große Plattform zu entwickeln: Ich persönlich merke, dass ich (wie andere Christen auch) gefragt bin, einfach weiterzugeben, was ich aus Gottes Sicht zu erkennen meine. In meinem Fall geht der christliche Nationalismus quer durch meine Familie und quer durch meine christlichen Freundeskreise in Amerika. Vielleicht ist es schon genug, wenn ich dort biblisch fundiert etwas sagen kann, das Menschen ins Fragen bringt und sie entdecken, dass Gott, seine Wege und Wahrheiten anders sind.
Wie äußert sich dieser Riss, der quer durch deine Familie und deinen Freundeskreis geht?
Nur einige in meiner Familie sind Christen. Aber ein Cousin zum Beispiel ist Feuer und Flamme für den Herrn, gleichzeitig erzkonservativ und Christian Nationalist und wäre am 6. Januar 2021 sicherlich zum Sturm auf das Kapitol nach Washington gefahren, wenn er das hätte leisten können. Mit seinem ebenfalls gläubigen Bruder, der politisch ganz woanders steht, ist er so zerstritten, dass sie praktisch keinen Kontakt mehr haben. Ich habe meinen christlich-nationalistischen Cousin auch irgendwann aus meinen Facebook-Freunden herausgenommen, weil es einfach zu viel wurde mit allem, was er gepostet hat. Das sind Beispiele. Oder ich war einige Jahre in einer kleinen Gemeinde in Spokane (im Bundesstaat Washington), wo sich während der Covid-Zeit Impfgegner und Impfbefürworter unversöhnlich gegenüberstanden, so wie es heute die Trump-Loyalen und die Trump-Gegner tun. Da muss ich vorsichtig sein, was ich sage.
Als US-amerikanischer Christ hast du traditionell eigentlich immer republikanisch gewählt – doch das endete mit Trumps erster Kandidatur 2016.
Ich habe mich seitdem mehr oder weniger als politisch obdachlos empfunden. Auf keinen Fall hätte ich Hillary Clinton wählen können, ich empfand sie als schrecklich korrupt. Auf republikanischer Seite blieb Donald Trump als einziger Kandidat übrig – und dann wurden diese Videos publik, die seinen Missbrauch von Frauen und seine Haltung Frauen gegenüber offenbarten. Auf keinen Fall hätte ich ihn als so offensichtlich moralisch degenerierte Person wählen können. Bei seiner Kandidatur 2024 habe ich dann Kamala Harris gewählt, obwohl ich ihrem Wahlprogramm nicht zustimmte. Aber da ging es darum, unsere Verfassungsordnung zu retten, wenn irgendwie möglich.
2020 hatte Trump mit seiner Lüge von der „gestohlenen Wahl“ ja bereits begonnen, das Vertrauen in das eigene demokratische System zu untergraben und damit den „Sturm auf das Kapitol“ losgetreten, von dem du schon gesprochen hast. Die Stimmen der evangelikalen Christen „kaufte“ er sich, indem er Themen vertrat, die für viele wichtig sind (wie z.B. Abtreibung).
Es gibt in den USA lange Traditionen: Christen wählen eher rechts als links, mit kleinen Abweichungen – die Akademiker unter ihnen, die Theologen wählen eher links als rechts. Als ich 2007 während des Obama-Wahlkampes unter meinen theologischen Kommilitonen einmal sagte, dass wir in einer demokratischen Ordnung einfach versuchen, den bestmöglichen „Cäsar“ zu wählen, habe ich manche richtig stutzig gemacht. Das politische System ist immer ein anderes System als das Reich Gottes: Zu wählen ist wichtig und unsere zivile Pflicht, aber es ist nicht ultimativ wichtig und nicht so wichtig wie das Reich Gottes. Wir können das Reich Gottes nicht vorantreiben durch unser politisches Verhalten.
Mit dieser Einstellung unterscheidest du dich aber massiv von der Mehrzahl der Christen heute in den USA und insbesondere von denen, die Trump als „Gesandten Gottes“ sehen, der ihr Land angeblich wieder zu einer „christlichen Nation“ macht. Das ist der Knackpunkt: Das Reich Gottes wird von ihnen zu einem „politischen Reich“ und einer Machtsphäre umgedeutet …Fortsetzung folgt am 15. Januar 2026.

von