„Die GGE trägt Hoffnung in die Kirche“

Zum Start ins Neue Jahr hat Swen Schönheit mit fünf Hauptamtlichen unserer Kirche ab Mitte 30 diskutiert. Sie arbeiten im Norden, Osten, Westen und in der Mitte Deutschlands und sagen, warum die GGE für sie persönlich und als Mitgestalter kirchlicher Zukunft wichtig ist.

Die fünf Teilnehmer des Gesprächs

Die Geistliche Gemeindeerneuerung (GGE) in der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine mehr als 40-jährige Geschichte. Viel hat sich verändert – und viel hat die GGE noch vor! Zum Start ins Neue Jahr spricht Swen Schönheit, 1. Vorsitzender der GGE, mit hauptamtlichen Kirchenleuten zwischen 34 und 45, die die Anfänge der GGE nicht live erlebt haben. Warum fühlen sie sich der GGE zugehörig? Welchen Auftrag nimmt die GGE in Kirche und Land wahr? Mit dabei:

Autorenbild Susanne Entschel

Susanne Entschel (36) ist Pfarrerin im Kirchenkreis Halberstadt und Mitglied im Vorstand der GGE Deutschland. Ihr Auslandsvikariat hat sie in Australien verbracht. Sie schreibt auf dem GGE-Blog und zählt zum Redaktionsteam.

Autorenfoto von Fabian J. Witmer

Fabian J. Witmer (35) ist Vikar im Kirchenkreis Hanau. Der Theologe und Politikwissenschaftler war zuvor pastoraler Leiter in der Ev. Andreasgemeinde in Niederhöchstadt und Lobpreisleiter in einer großen Freikirche.

Autorenfoto von Madlen Goldhahn

Madlen Goldhahn (45) ist Pfarrerin für familienbezogene Arbeit im Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld. Ihre Andachten aus der Johanneskirche Saalfeld waren zur Pandemiezeit regelmäßig im Radio zu hören. Sie schreibt auf dem GGE-Blog.

Autorenfoto Andreas Jansson

Dr. Andreas (Andi) Jansson (34) arbeitet als ev. Theologe bei GreifBar, einem missionarischen Werk des Pommerschen Ev. Kirchenkreises in Greifswald. Er ist Dozent für kontextuelle Gemeindeentwicklung, Mission und Evangelisation. Auf Spotify erzählt er von GreifBar, Predigten gibt’s per Podcast.

Autorenfoto von Maraike Richter

Maraike Richter (36) ist Kantorin der Ev. Kirchengemeinde Hilden. Sie träumt davon, klassische Kirchenmusik mit der Leidenschaft von Lobpreis erklingen zu lassen. Sie schreibt auf dem GGE-Blog.


Swen: Wie erlebt ihr die Geistliche Gemeindeerneuerung? Wo habt ihr in der Vergangenheit von der GGE profitiert?

Susanne: Ich denke vor allem an die Theo-Tagungen, wo Begegnungen zwischen Jungtheologen und älteren Kollegen möglich sind. Die Älteren erzählen, was sie erlebt haben und ermutigen, wir beten füreinander. Ich schätze das Miteinander da sehr. Mit Blick auf die GGE denke ich vor allem an Gemeinschaft.

Fabian: Für mich spielt auch vor allem die geistliche Gemeinschaft eine Rolle, egal in welchem Zusammenhang. Dass man füreinander betet, gemeinsam anbetet und dass das intensive Zeiten tiefer Berührung sind.

Madlen: Mir ist die Vernetzung wichtig – voneinander zu wissen, auch deutschlandweit, wer aus verschiedenen Generationen wo unterwegs ist. Die Multiplikatorentreffen (regelmäßige Treffen von GGE-Verantwortlichen und -Freunden, Anm. d. Red.) sind für mich sehr wichtig und thematisch interessant. Das eine ist der Austausch zu unserem Know-how auf verschiedenen Gebieten. Das andere ist, dass wir miteinander nicht nur auf das schauen, was ist, sondern gemeinsam auf Gott hören. Vielleicht sollten wir sogar noch viel mehr Zeit ins Hören investieren. Ansonsten bündelt die GGE viele Fragen und spitzt sie geistlich zu. Vieles aus den Veröffentlichungen im Blog oder auch in der Zeitschrift GEISTESGEGENWÄRTIG konnte ich schon im Gemeindealltag einbauen, in Predigten, in Impulsen, in Andachten.

Andi: Ich fühle mich theologisch-geistlich bei der GGE sehr zu Hause. Und zwar was die theologische Reflexion, aber auch was die Praxis angeht – das Wirken des Heiligen Geistes wird reflektiert auf der Basis eines soliden reformatorischen Gerüstes. Ich schätze die konkreten Treffen sehr, zum Beispiel die Theo-Tagungen, gleichzeitig aber auch die Veröffentlichungen, die teilweise schon Jahrzehnte zurückliegen – wie die alten Werkstatthefte, wo diese „charismatischen“ Themen sehr nüchtern, solide, aber offen und vertrauensvoll behandelt werden. Diese Kombination ist mir in den letzten Jahren meiner theologisch-geistlichen Entwicklung immer wichtiger geworden.

Autorenfoto von Maraike Richter

„Mich ermutigt es zu wissen, dass in der GGE Hauptamtliche vor Ort tätig sind genauso wie ich. Ich bin nicht allein in dem, was ich tue, sondern da sind andere, die genauso mitbeten, mitüberlegen, mitdenken.“

Maraike (36)

Maraike: Ich schließe mich dem an, was die Praxis vor Ort angeht und die geistliche Ausrichtung. Mich ermutigt es zu wissen, dass in der GGE Hauptamtliche vor Ort tätig sind genauso wie ich. Ich bin nicht allein in dem, was ich tue, sondern da sind andere, die genauso wie ich mitbeten, mitüberlegen, mitdenken. Mich tragen die Gespräche, die ich auf den Multiplikatorentreffen hatte oder auch bei anderen Gelegenheiten – wie zum Beispiel bei meinem Praktikum bei Udo Schulte in Iserlohn vor einigen Jahren.

Swen: Wenn ihr jetzt an euren kirchlichen Kontext denkt, in dem ihr arbeitet, wie würdet ihr Menschen, die mit „GGE“ überhaupt nichts anfangen können, erklären, wofür GGE steht?

Andi: Wenn kirchlich-theologische Vorerfahrung da ist, sage ich häufig, das ist der charismatische Flügel der evangelischen Landeskirche, und führe dann ungefähr so wie eben aus, was ich daran schätze. Also dieses Nüchterne, aber Offene für das Wirken des Geistes. Oder ganz simpel: „Ich gehe davon aus, dass es Gott wirklich gibt, also wirklich, und dass er im Hier und Jetzt auch wirklich etwas tun kann.“

Fabian: Für mich spielt das Stichwort „Hoffnung“ eine große Rolle. Hoffnung, dass Gott seine Kirche nicht aufgibt, weil er uns dazu ruft, ihm nachzufolgen, und weil er uns seinen Geist als Verheißung gegeben hat – solange bleibt auch die Hoffnung! Und deswegen trägt die GGE Hoffnung in die Kirche und hält an ihr fest, egal was passiert.

Susanne: Die GGE besteht aus Menschen, die eine Sehnsucht haben nach lebendiger Gemeinde, nach Begegnung und Miteinander, aber vor allem auch danach, dass Gott uns begegnet. Sie ist eine Bewegung, die damit rechnet, dass Gott mit uns Menschen in Kontakt tritt und Dinge bewegt, die wir nicht selbst bewegen können.

Autorenbild Susanne Entschel

„Die GGE ist eine Bewegung, die damit rechnet, dass Gott mit uns Menschen in Kontakt tritt und Dinge bewegt, die wir nicht selbst bewegen können.“

– Susanne (36)

Maraike: Ich habe sehr selten mit Leuten über die GGE an sich gesprochen, sondern eher anhand eines Themas – ich habe zum Beispiel über Gemeindeaufbau gesagt, „da gibt es ein Buch von Swen Schönheit“. Denn die Fragen dazu sind ja tatsächlich formuliert und beantwortet, auch wenn meine Gesprächspartner diese Antworten innerhalb ihres Gemeindekontextes nicht gefunden haben. Eigentlich würde ich mir öfter eine Situation wünschen, wo ich tatsächlich die GGE beschreibe. Ich habe Dich, Swen, mal erlebt in Berlin, in der Matthias-Claudius-Kirchengemeinde: Du hast die GEISTESGEGENWÄRTIG einfach jemandem in die Hand gedrückt und gesagt, „da ist auch ein Interview mit Maraike drin, guck dir die Zeitschrift doch mal an“. Es war für mich toll zu erleben, wie ich das ganz praktisch machen kann: einfach jemandem einen Flyer, eine Zeitschrift in die Hand drücken … weil ich mich eher schwertue, mich als der GGE zugehörig zu outen. Das gehört noch nicht zu meinem Alltag und ist eine Frage, die ich habe: Wie erkläre ich GGE oder wie bringe ich GGE mit ein?

Madlen: Im kirchlichen Kontext bin ich nie direkt auf die GGE angesprochen worden, obwohl ich regelmäßig verschiedenes Material in den Kirchen ausgelegt und das Buch „Komm Geist Gottes!“ dem Kollegium im Konvent des Kirchenkreises vorgestellt habe. Es wurde geprüft und dabei eher skeptisch auf die Frage der Machbarkeit verwiesen, wenn der Heilige Geist ins Spiel kommt. Ob der Begriff „Geistliche Gemeinde-Erneuerung“ für manche abschreckend wirkt, weil das so ein Mehrfachwort ist („Erneuerung“ und dann auch noch „geistlich“)? Für mich sind die „fünf B“ der GGE jedenfalls absolut kennzeichnend und die Idee war gut, das so als Markenkern herauszuarbeiten: Begeisterung, Beziehung, Bekehrung, Bevollmächtigung, Barmherzigkeit.

Swen: Nun haben wir die „fünf B“ inhaltlich mit anderen Bewegungen oder Netzwerken gemeinsam. Es gibt viele Initiativen, die mit uns nach Formen lebendiger Gemeinde oder Gemeindeentwicklung und zukunftsträchtiger Kirche fragen. Findet ihr etwas in der GGE, was andere nicht machen?

Susanne: Mir ist das Verortet-Sein in Landeskirche sehr wichtig. Das ist der Ort, wo ich arbeite, wo ich meine Zeit und Energie hineingebe. Mit Menschen gemeinsam unterwegs zu sein, die auch an diesem Ort Sehnsucht haben und Gemeinschaft suchen, finde ich etwas sehr Besonderes.

Maraike: Das sehe ich ganz genauso.

Fabian: In Ergänzung dazu erlebe ich in der GGE das konkrete Rechnen mit dem Wirken des Geistes, mit dem Wirken Gottes. Da werden nicht nur „Versuche“ unternommen, die man mit Gebet begleitet, und dann sagt, „jetzt machen wir mal“ … Nein, im Gegenteil: Wir machen, was wir können, und wir rechnen fest damit, dass auch Gott etwas tut.

Autorenfoto Andreas Jansson

„Dass das Wirken des Geistes (neben der Praxis) so solide theologisch reflektiert wird, dass ich da gut andocken kann, das finde ich nur bei der GGE.“

– Andi (34)

Andi: Ich kenne einige Ansätze von Gemeindeentwicklung auch im landeskirchlichen Dunstkreis, aber dass genau dieser Aspekt, den Fabian gerade angesprochen hat, an zentraler Stelle integriert ist, das kenne ich sonst nicht. Im Prinzip ist es, was Paulus in 1. Korinther 12 das sichtbare oder offensichtliche Wirken des Geistes nennt. Wo finde ich sonst beim Thema Gemeindeentwicklung Sprachengebet, Prophetie, Zeichen und Wunder, Befreiungsdienst? Dass diese Dinge in der Praxis gelebt werden, das finde ich sonst schon (aber dann eher nicht in der Landeskirche) … aber dass das Wirken des Geistes gleichzeitig so solide theologisch reflektiert wird, dass ich da gut andocken kann, das finde ich nur bei der GGE.

Swen: Nimmt die Sehnsucht nach authentischer Geisterfahrung eurer Meinung nach zu? Gerade in eurer Generation?

Andi: Ich nehme wahr, dass über die Praise-and-Worship-Musik nach und nach „Wellen der Charismatisierung“ in die christliche Szene schwappen. Ich erlebe das in Gemeinden, wo das Wirken des Heiligen Geistes eigentlich gar keine Rolle spielt und nicht reflektiert wird, wo aber Lobpreismusik ein fester Bestandteil der Jugendgottesdienstkultur ist. Dass sich Jugendliche, die zum 500. Mal „Du bist der Gott, der Wunder tut“, singen, irgendwann fragen, ob das eigentlich ernst gemeint ist. Ein guter Teil dieser Lobpreismusik kommt aus pentekostal-pfingstlerischem Hintergrund und transportiert eine entsprechende Theologie. Auch die älteren Ausgaben der „Feiert-Jesus!“-Liederbücher werden immer noch in Sätzen für Jugendgruppen gekauft. Wahrscheinlich springen also „liberalere“ Teile unserer Landeskirche (die aber weit weg davon sind, die neuesten Bethel-Lieder zu singen) jetzt zeitversetzt auf „Feiert Jesus!“ 2 oder 3 auf. Woran ich aber ein bisschen leide, ist, dass die Leute, die sich diese Fragen zum Heiligen Geist stellen, meiner Wahrnehmung nach häufig ihren Weg in Gemeinden außerhalb der Landeskirche finden. Und eigentlich sind wir als GGE doch der Ort, der das begleiten könnte.

Swen: Heißt das, dass wir aufs Ganze gesehen in unseren Landeskirchen ein spirituelles Defizit haben? Oder haben wir versäumt, Geisterfahrung nahezubringen?

Fabian: Ja! Ein Beispiel: In meiner Prädikantenausbildung wollte ein Pfarrer mal „Geisterfahrungen“ mit uns machen. Wir sollten die Augen schließen, einander mit den Händen näherkommen, ohne uns zu berühren, und dann spüren, was wir fühlen. Diese „spirituelle Übung“ fand ich befremdlich. – Ich glaube, Menschen suchen in anderen religiösen Settings, zum Beispiel in fernöstlicher Mystik, weil sie in ihrer eigenen Kirche nichts finden. Und deswegen ganz klar: Ja. Die Kirche wäre attraktiver, wenn sie mehr authentische, wahrhaftige Erfahrungen anbieten würde.

Andi: Ich muss dabei an Taizé denken. Wie viele Taizé-Andachten, Taizé-Gottesdienste, Taizé-Fahrten gibt es? Das ist ohne Frage christliche Spiritualität – und klar, in einem ganz anderen Stil als zum Beispiel das neueste Hillsong-Lied. Jenseits der Stilfrage aber müssen wir auf der theologischen Ebene fragen: Wo rechnen wir mit dem Wirken des Heiligen Geistes und strecken uns danach aus? Wo geben wir dem Raum, im Wissen um die Unverfügbarkeit dessen? Ich meine das jetzt nicht im Sinn von „Stille-Werden vor Gott“ und Kontemplation (wobei ich das und auch die Verbindung von kontemplativer Mystik und modern-charismatischer Spiritualität super-wertvoll finde!), sondern vielmehr, dass wir konkret damit rechnen, dass Gott etwas sagt und etwas tut. Hier habe ich in der Landeskirche wenig erlebt, bis ich auf die GGE und ein, zwei konkrete Gemeinden gestoßen bin.

Swen: Habt ihr eine Vermutung, wo die Blockaden dafür liegen?

Susanne: Vielleicht rechnen wir noch zu viel mit uns selbst. Ich merke das oft in Gottesdiensten. Ich sehe, wie jemand berührt wird – und bei aller Vorbereitung kann ich es doch nicht „machen“, dass Menschen berührt werden. Aber die Sehnsucht danach ist wirklich da. Viele würden das von sich aus nicht als Geisterfahrung bezeichnen, sondern vielleicht eher als ein „Ich spüre, da ist irgendwie mehr“ und „Irgendetwas passiert mit mir, wenn ich in dieser Kirche sitze“. Jemand hat mich gerade gefragt, ob er einfach mal so in die Kirche gehen könnte, weil das für ihn ein „besonderer Raum“ sei. Da wirkt Gott auch an mir vorbei. Es braucht unsere Bereitschaft zu sagen, es bin doch nicht ich mit meinen „perfekten Gedanken“. Ich bin oft unfertig, aber trotzdem ist Gott dabei und begegnet Menschen.

Autorenfoto von Fabian J. Witmer

„Menschen suchen in anderen religiösen Settings, weil sie in ihrer eigenen Kirche nichts finden. Die Kirche wäre attraktiver, wenn sie mehr authentische, wahrhaftige Erfahrungen anbieten würde.“

– Fabian (35)

Swen: Wir wünschen uns als GGE, den Heiligen Geist in seiner Kraft, seinen Gaben, in seiner verändernden Wirkung zu erleben. Das vielen zu erschließen, ohne dass sie das Label „charismatisch“ übernehmen müssen. Wie gelingt uns das? Wie können wir das vermitteln, gerade auf Gemeindeebene?

Madlen: Es hat tatsächlich, wie Susanne meinte, viel mit uns zu tun, auch mit mir als Leitender, ob ich diese Kultur eintrage in all die Orte, wo ich bin. Das fängt mit der Gremienspiritualität an: Wie gestalte ich meine Andachten? Lasse ich Zeit in der Stille oder ziehe ich meine Programme genauso durch wie überall sonst?

Andi: Kontrolle ist ein Schlüsselbegriff. Da, wo ich Gottes Geist wirklich Raum gebe als Leitender, muss ich ein Stück weit Kontrolle abgeben. Das meint nicht Grenzenlosigkeit, sondern einen Rahmen abzustecken, innerhalb dessen ich Raum gebe und nicht kontrolliere. Ich als Leitender muss in Gebetstreffen, Gottesdiensten oder an Lobpreisabenden wissen, wo die Grenzen sind und wo ich einschreite. Aber innerhalb dieser Grenzen muss ich aushalten, dass ich nicht weiß, wie lange etwas dauert oder was passiert, und muss die Offenheit haben, dann auf das, was Gottes Geist tut oder sagt, zu reagieren und die Gruppe entsprechend anzuleiten. Dazu dient auch all das gute Material, was wir von der GGE in den letzten Jahrzehnten geschenkt bekommen haben. Den kleinen Andi in mir, der die Kontrolle haben will, muss ich ‘runterschlucken. Und ich muss Dinge auch anders denken: Ich habe, auch was die Liturgie angeht, viel gelernt, auf welchen Wegen entlang man leitet. Doch beim Heiligen Geist geht es nicht um einen Weg, den wir führen. Er führt uns manchmal Wege. Was wir tun, ist ihm Raum zu geben und uns innerhalb dieses Raumes führen zu lassen. Das ist für mich eine ganz andere Haltung, mit der ich in Treffen und Gottesdienste hineingehe.

Maraike: Die Frage ist, was ist Geisterfahrung? Ich bin in der CE aufgewachsen, in der katholischen Charismatischen Erneuerung. Auf Jugendfreizeiten habe ich Vorträge zu dem gehört, was „charismatisch“ ausmacht, und habe genau das bei Lobpreisabenden dann auch erfahren: Hören auf den Geist Gottes, Sprachengebet, spontaner Lobpreis, Gebet um Heilung. Das habe ich mit Gleichaltrigen erlebt, die sehr viel Sehnsucht nach Begegnung mit Gott hatten (und wo es dem Alter entsprechend auch manchmal chaotisch zuging). Ich bin dann ins Studium der Kirchenmusik gekommen, wo Geisterfahrung vielleicht am Rande vorkam. Wenn ich dieses Thema ein bisschen weiter verstehe, also: Wie ist es mit spontaner Musik? Was kann das ganz praktisch an der Orgel oder beim A-cappella-Gesang heißen, auch bis in die Gregorianik zurück? Wenn ich in einem weiter gefassten Rahmen über Geisterfahrung rede, heißt das für mich auch, dass ich zum Beispiel ein Konzert mit Ruhe und einer Ausrichtung auf Gott beginne und damit klarmache: Es geht gar nicht so sehr um das schöne Konzertereignis, sondern es geht jetzt um Gott. Auch da gebe ich dem Wirken Gottes Raum, auf eine ganz andere Art und Weise vielleicht als im typischen „charismatischen“ Setting. Und wenn ich Rückmeldungen bekomme, kann ich auch anders hinhören: Wo meint jemand den Geist Gottes, gebraucht aber ganz andere Worte als wir?

Swen: Da war eine ganze Reihe kostbarer Stichworte dabei – Stoff für viel mehr als einen Blogtext! Ich würde gern noch darüber sprechen, wie sich die Gestalt unserer Kirche verändert. Ein Gedanke war ja auch, Räume für den Heiligen Geist zu öffnen. Nun ist der Raum der Volkskirche am Zerbröseln, das heißt, die Struktur der Parochie ist eigentlich nicht mehr zu halten. Einige von euch arbeiten in diesem System, Susanne ist als Pfarrerin für mehrere Dörfer verantwortlich, Fabian ist neu im Vikariat, Madlen arbeitet auf Kirchenkreisebene, Andi in einer der neuen Gemeindeformen. Überall wird versucht, Strukturen anzupassen. Wohin geht für euch die Reise? Wohin wird sich Volkskirche entwickeln? Und wie ist in all dem eine lebendige Gemeinde möglich?

Susanne: Ich bin mit neun Dörfern schon in den großen Strukturen unterwegs und merke, dass es darauf ankommt, dass Menschen vor Ort gestalten und die Initiative ergreifen. Es kann nicht mehr an einer Person hängen, am Hauptamtlichen oder Gemeindekirchenratsvorsitzenden. Wenn aber die Leute sagen, das ist unser Ort, hier laden wir ein und hier sind wir lebendig, dann passiert so viel! Das tut auch mir gut als Hauptamtlicher.

Andi: Ich würde dasselbe sagen: Lebendige Gemeinde ist immer vor Ort. Da bricht das über Jahrhunderte gewachsene System der Volkskirche gerade sehr merklich auf und das wird noch zunehmen. Es wird noch klassische Parochialstruktur geben, aber immer weniger und nicht mehr flächendeckend. Wir müssen uns als Landeskirche dahin entwickeln, Menschen auch jenseits vom Pfarramt zu unterstützen, zuzurüsten, zu fördern, ihnen etwas zuzutrauen – also weniger Versorgung zu leisten, sondern mehr Unterstützung zu geben. Da stimme ich absolut zu. Genau das höre ich auch viel in Kirche. Gleichzeitig aber habe ich dabei auch ein ambivalentes Gefühl, weil ich mich frage: Wo ist jetzt noch Christus dabei? Wo ist das Evangelium? Denn es kommen ja manchmal vor Ort ganz viele tolle Ideen, wo aber Christus nicht auf den ersten fünf Seiten des Konzeptpapiers erscheint. Da müssen theologische Kompetenzen eingebracht werden, auch das, was wir „charismatisch“ nennen würden: Wie können wir in die praktische Idee vor Ort auf gute Weise theologische Reflexion hineinbringen, wie Mission, christuszentrierte Frömmigkeit und einen guten Umgang mit den Dingen des Heiligen Geistes? Das müsste für mich in der Unterstützungsstruktur enthalten sein.

Fabian: Ich hatte neulich ein Gespräch mit unserer Pröpstin. Sie zeichnete ein interessantes Bild vor dem Hintergrund der Entwicklung. Sie sagte, „wir werden sicherlich nicht mehr in jedem Dorf eine Kirche haben. Aber wir werden Gebiete haben.“ Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Parochie meinte oder nicht. Aber sie malte ein Bild von Orten, die zu „Leuchttürmen“ werden können, zu Zentralisierungsorten für geistliches Leben, sodass man Gottesdienst nicht nur mit fünf, sechs, sieben Leuten an verschiedenen Orten feiert, sondern alle, die dieses Bedürfnis haben, an einem Ort versammelt – und dann mit 40, 100 oder mehr Menschen feiert. Ein Stück weit geht das ja in Richtung eines freikirchlichen Modells: Da sind Menschen bereit, eine halbe oder dreiviertel Stunde an ihre „Quelle“ zu fahren, um dort Sonntag für Sonntag aufzutanken. Mich hat das berührt und ich finde dieses Bild faszinierend, denn das wäre tatsächlich möglich. Und wenn Kirche das schon auf Leitungsebene mitdenkt und als mögliche Struktur anbietet – wow.

Autorenfoto von Madlen Goldhahn

„Mir ist die Vernetzung wichtig – der Austausch zu unserem Know-how und dass wir miteinander nicht nur auf das schauen, was ist, sondern gemeinsam auf Gott hören.“

Madlen (45)

Madlen: Ich habe in den letzten Wochen viel zum Thema Kirchenentwicklung gelesen und Podcasts gehört. Es gibt den „Praktisch.Theologisch.Kirche.“-Podcast, wo 20 Jahre Erkenntnisse aus dem Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) in Greifswald einfließen (seit 1.10.2022 mit seinen Aufgaben umgezogen nach Halle/Saale als Forschungsstelle Missionale Kirchen- und Gemeindeentwicklung und in den süddeutschsprachigen Raum als „Institut zur Erforschung von Mission und Kirche“, Anm .d. Red.). Ich finde es großartig, absolut zukunftsweisend und auch hoffnungsstiftend, dass viele Menschen gemeinsam nachdenken, beten, zuhören und überlegen, wie es weitergehen kann. Es ist wichtig, die Chancen einer regio-lokalen Entwicklung zu sehen, zugleich lebendige Gemeinden vor Ort zu haben. Interessant ist, wie das sogenannte „Priestertum aller Gläubigen“ erfahrbar wird, wie sich mündiges Christsein konkret gestaltet und Menschen darin begleitet werden und wie sich dabei die Rollen von Haupt- und Ehrenamtlichen verändern werden. Ich finde es gut, dass diese Impulse stärker werden und hoffentlich auch auf Kirchenleitungsebene Entscheidungen beeinflussen.

Swen: Für mich schließt sich hier der Kreis unseres Gesprächs. Es sind andere mit uns unterwegs und nachdenklich. Teilweise von kirchenleitender Seite, teilweise von der Basis wird gefragt, wie Kirche künftig gehen kann, anders gehen kann. Könnte das unser entscheidender Beitrag sein als GGE Deutschland, dass wir sagen, was das „Lebendige“ in einer „lebendigen Gemeinde“ überhaupt ist? Wo das Leben herkommt und wo die geistliche Quelle ist?

Madlen: „Wir können‘s ja nicht lassen … Vitalität als Kennzeichen einer Kirche der Sendung“ war der Titel des letzten vom Greifswalder IEEG durchgeführten Symposiums (Mai 2022) mit vielen weiterführenden Beiträgen. Ich denke, dass die GGE ein Gesprächspartner sein kann und Erfahrungen und Erkenntnisse eintragen wird in zukünftige Diskurse.

Swen: Das ist ein super Schlusswort. Ich danke euch allen – und wir bleiben weiter im Gespräch.

Swen Schönheit

Swen Schönheit ist evangelischer Pfarrer in Berlin-Heiligensee und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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