Rauf aufs Rad und los!

Rad fahren lernt man nur, indem man es tut. Mit den Geistesgaben in der Gemeinde ist es genauso, sagt Henning Dobers. Was „Bevollmächtigung“ meint, steht in Teil 8 unserer Serie zu den fünf Grundwerten der GGE.

Rennradfahrer

Früher trabte Vater mit hochrotem Kopf neben dem Nachwuchs, der – wackelig, aber stolz – erste Fahrten mit Stützrädern unternahm. Irgendwann kamen die Stützräder ab und es wurde richtig spannend. Heute flitzen schon Zweijährige auf Laufrädern durch die Gegend und lernen ganz nebenbei lenken, Gleichgewicht halten, Tempo anpassen. Aufs echte Fahrrad steigen sie dann gleich ohne Stützräder um. Natürlich gibt es mal einen Sturz – Kratzer und Beulen inklusive. Aber wer wollte sein Kind ernsthaft vor dem Fahrrad fahren bewahren?!

Der Pfarrer als Radprofi?

In unseren Gemeinden scheinen viele Christen mit „Stützrädern“ durch die Gegend zu fahren. Andere trauen sich gar nicht und die große Mehrheit glaubt nicht einmal, dass Gott uns zum Radfahren geschaffen hat. Ausgerechnet in der Kirche der Reformation, die das „Priestertum aller Gläubigen“ wiederentdeckt hatte, ist das Lehren, Empfangen und Praktizieren der Gnadengaben (Charismen) weithin unbekannt, ungewohnt oder gar suspekt. Der Pfarrer wurde zum Radprofi und das Pfarramt zum Rennstall. Die anderen gucken zu. Spätestens unsere Generation erntet nun endgültig die Früchte dieser Theologie: erschöpfte Pfarrer, verunsicherte, kraftlose Gemeinden, wegbrechende Strukturen.

Aber es gibt Hoffnung. In den letzten Jahren wurden Qualitätsmerkmale bei wachsenden Gemeinden entdeckt – darunter die „bevollmächtigende Leitung“. Bevollmächtigung will in einer dienenden Grundhaltung andere ermutigen, stärken, unterstützen. Die Wiederentdeckung dieses Prinzips gilt seither als einer der wesentlichen Gesundheitsfaktoren im persönlichen Glaubens- und im Gemeindeleben.

Gott beteiligt uns an dem, was er tun will

Nur Gott selbst hat und ist Autorität. Vollmacht im biblischen Sinne ist immer von Gott verliehene und an ihn gebundene Macht, anvertraute Ermächtigung, delegierte Autorität. Vollmacht ist ein Beziehungsbegriff. Kein Besitz, über den wir verfügen könnten, sondern Geschenk, das wir empfangen und einsetzen dürfen, weil Gott uns an seiner Wirkmächtigkeit teilhaben lässt.

Bevollmächtigung beginnt bei Gott. Der Vater und Sohn nehmen durch den Heiligen Geist Wohnung im Gläubigen. Seit Pfingsten ist der Heilige Geist ausgegossen (nachzulesen in der Apostelgeschichte, Kapitel 2): Nun ist jeder Gläubige begabt und bevollmächtigt zu tun, wozu der Geist befähigt und sendet.

Wir sind begabt, um zu dienen

Die Gemeinde in Korinth hat das erlebt. Der Apostel Paulus schreibt: Durch Christus hat Gott „euch in jeder Hinsicht reich gemacht – reich an geistgewirkten Worten und reich an geistlicher Erkenntnis. Er hat die Botschaft von Christus, die wir euch gebracht haben, in eurer Mitte so nachhaltig bekräftigt, dass euch nicht eine von den Gaben fehlt, die er in seiner Gnade schenkt“ (1. Korintherbrief, Kap. 1, V. 5-7).

Gaben sind kein Selbstzweck, sondern zum Dienen da. Sie sind dem Einzelnen für die Gemeinde insgesamt gegeben. Durch einen gesunden Umgang ehren wir Gott, finden Menschen zum Glauben und wird die weltweite Gemeinde Jesu aufgebaut.

„Bei jedem zeigt sich das Wirken des Geistes auf eine andere Weise, aber immer geht es um den Nutzen der ganzen Gemeinde. Dem einen wird durch den Geist die Fähigkeit geschenkt, Einsichten in Gottes Weisheit weiterzugeben. Der andere erkennt und sagt mit Hilfe desselben Geistes, was in einer bestimmten Situation zu tun ist. Einem dritten wird (...) ein besonderes Maß an Glauben gegeben, und wieder ein anderer bekommt durch diesen einen Geist die Gabe, Kranke zu heilen. Einer wird dazu befähigt, Wunder zu tun, ein anderer, prophetische Aussagen zu machen, wieder ein anderer, zu beurteilen, ob etwas vom Geist Gottes gewirkt ist oder nicht. Einer wird befähigt, in Sprachen zu reden, die von Gott eingegeben sind, und ein anderer, das Gesagte in verständlichen Worten wiederzugeben.“ (1. Korintherbrief, Kap. 12, V. 7-10)

Um Gaben bitten und ausprobieren …

Gott gibt gerne, vieles ist schon längst da – wir müssen es nur ausprobieren. Kinder sind lebenslustig und neugierig: Wenn sie um ein Fahrrad bitten und eins bekommen, werden sie es ausprobieren. Gott weiß genau, welches Fahrrad zu seinen Kindern passt, ob es ein Laufrad, Tourenrad, Rennrad, Mountainbike oder ein E-Bike ist. Manchmal fordert er uns aber auch heraus und befähigt, ein anderes Modell zu fahren.

In jedem Fall lädt er zum Aufsteigen und Losradeln ein. Wir müssen den Schritt von der Theorie in die Praxis wagen. Wir brauchen in unseren Gemeinden den Mut zu einer bevollmächtigenden Experimentierkultur, in der sich die Gaben des Heiligen Geistes entfalten können.

… und alles in Liebe tun

Die entscheidende Grundhaltung beim Ausüben aller Gnadengaben ist die Liebe. Ein Gebrauch der Gaben ohne Liebe ist „nichts nütze“ (1. Korintherbrief, Kap. 13, V. 1-3), sogar schädlich. Kompetenz ohne Charakter führt zu Arroganz; Charakter ohne Kompetenz hingegen mündet meist im Burnout. Beides dient nicht dem Gemeindeaufbau. „Erkenntnis bläht auf; aber die Liebe baut auf“ (1. Korintherbrief, Kap. 8, V. 1), schreibt Paulus den Gläubigen ins Stammbuch. Gott will weder einsame Profiradler noch rücksichtslose Fahrradfahrer, die sich und andere gefährden, sondern Teams und „Familienausflügler“. Gaben und Charakter gehören genauso zusammen wie Bevollmächtigung und Segen.

Jetzt sind wir dran!

Das Bild vom Radfahren lernen hinkt natürlich. Es geht in der Christusnachfolge gerade nicht darum, unabhängig vom Vater zu werden, ganz im Gegenteil. Ohne IHN können wir nichts tun – wie es Jesus im Johannesevangelium sagt (Kap. 15, V. 5).

Und doch: Jesus möchte uns helfen, im Glauben erwachsen zu werden, damit unsere Gemeinden mehr und mehr in ihre Berufungen hineinfinden. Da gibt es ausgerechnet in der Kirche der Reformation noch eine Menge Nachholbedarf. Viele Gemeinden bleiben weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Also: Aufs Rad schwingen und losradeln! Gott sendet uns. Er traut uns etwas zu. Er läuft mit. Er bevollmächtigt uns, das zu tun, was genau zu uns passt und was unsere Gemeinde gerade jetzt braucht.

Ich stelle mir vor, wie Jesus sagt: „Nehmt den Heiligen Geist! Jetzt seid ihr dran. Nur Mut! Ich bin bei euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.“ Kirche der Reformation – da geht noch was!

Bibelstellen nach: Neue Genfer Übersetzung (2011) und Luther (2017)

Der Geist Gottes schenkt jedem Gläubigen Gnadengaben (Charismen) mit dem Ziel, diese in der Gemeinde einzusetzen. Martin Luther spricht vom „Priestertum aller Gläubigen“. Wir ermutigen, den Heiligen Geist um das Geschenk seiner Gaben zu bitten. Wir tragen dazu bei, dass Menschen ihre geistlichen Gaben entdecken und auf gesunde Weise entfalten. Wir fördern den Einsatz der Gaben innerhalb der Gemeinde zum Dienst aneinander. Christen erleben auf diese Weise Wachstum in ihrem Glauben und Gemeinden werden zum Segen für ihre Umgebung.

Aus der Vision der GGE zu ihrem Wert „Bevollmächtigung

Unser Beitrag steht ausführlicher in:

Buchtitel „Evangelisch 500+“

Evangelisch 500+
Alte Schätze. Frischer Glaube. Neue Wege
Gundula Rudloff und Henning Dobers (Hrsg.)

Was kommt eigentlich nach dem Reformationsjubiläum? Immer so weiter? Wohl kaum. Wer will, dass die Kirche bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt. Vor diesem Hintergrund ist EVANGELISCH500+ zu verstehen wie eine dankbar-selbstkritische Liebeserklärung an eine alte Kirche mit chancenreicher Zukunft. EVANGELISCH500+ wirbt für eine geistliche Energiewende in Kirche, Theologie und Gemeinde – damit nicht alles so bleibt, wie es ist.
 
328 Seiten, Hardcover, für € 6.95 erhältlich im GGE Verlag

Henning Dobers

Henning Dobers ist Pfarrer und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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