Schämen wir uns etwa für Jesus?

Wie wir (öffentlich) beten, verrät, was und wie wir glauben. Swen Schönheit fällt auf, dass Jesus kaum noch in evangelischen Gebeten genannt wird.

Jesus in einer Großstadtszene

Beim Kirchentag ist es mir wieder aufgefallen: Die Gebete beginnen in der Regel mit „Gott …“ Als würde ein unsichtbares Neutralitätsgebot im Raum hängen. Gerne wird auch so gebetet: „Guter Gott“ oder „Lieber Gott“, wie ich es bei Tauf-Eltern oder -Paten erlebe. Ist die Gebetsanrede „Unser Vater“ (wie im Matthäusevangelium, Kap. 6, V. 9) inzwischen zu männlich (wie es Stephen Cottrell als anglikanischer Erzbischof von York gerade nahegelegt hat)? Muss Gott erst noch gegendert werden (wie die „Katholische junge Gemeinde“ meint)? Und wieso wird der Name Jesus in unseren eigenen Reihen vermieden (etwa weil wir uns „unseres Glaubens schämen“, wie es Wolfgang Huber einmal sagte)?

Es ist Kraft im Namen Jesus!

Dietrich Bonhoeffer machte in den dunkelsten Jahren unserer deutschen Geschichte die „Erfahrung …, daß allein der ausgesprochene Name Jesu eine ungeahnte Gewalt ausübt“ (Ethik, Kap. Kirche und Welt, „Der Ganzheits- und Ausschließlichkeitsanspruch Christi“). Wir berauben uns einer entscheidenden geistlichen Kraft, wenn wir um seinen Namen einen Bogen machen.

Stephanus betete, als er gesteinigt wurde: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (Apostelgeschichte, Kap. 7, V. 59). Petrus und Johannes wurde per Gerichtsbeschluss untersagt, den „Namen des Jesus Christus von Nazareth“ weiterhin öffentlich auszusprechen und in seinem Namen „zu sprechen oder zu lehren“ (Kap. 4, V. 17-18) – ahnten ihre Richter etwas von der „ungeahnten Gewalt“, die in diesem Namen steckt? Und wie gehen wir heute mit einem der ältesten christlichen Lieder um, in dem Paulus bekennt: Vor dem Namen Jesus werden sich einmal „die Knie aller beugen, die im Himmel und auf der Erde und unter der Erde sind“ (Philipperbrief, Kap. 2, V. 10)?

Jesus als humanistisches Ideal?

Nicht die Bewunderung für den guten Menschen Jesus machte die Christen im Römischen Reich zu Märtyrern, sondern das Bekenntnis: „KYRIOS IESOUS CHRISTOS“ (dt. „Jesus Christus ist der Herr“)! Welchen Jesus vermitteln wir heute als Kirche? Ist es nur noch ein Jesus, der anschlussfähig ist an die Zeitströmung, der unseren Idealen entspricht und unseren menschlichen Bedürfnissen entgegenkommt? Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts lässt grüßen: So lehrte Adolph von Harnack an der Schwelle zum 20. Jahrhundert in Berlin, dass Jesus selbst gar nicht „in das Evangelium hinein“ gehört, „sondern er ist die persönliche Verwirklichung und die Kraft des Evangeliums gewesen und wird noch immer als solche empfunden.“ Welche Bedeutung hat Jesus dann noch für unseren Glauben? Was Willi Marxen 1975 zugespitzt formulierte, steckt heute in vielen Hinterköpfen: „Jesus war der erste Christ.“ Christsein reduziert sich auf die ethische Orientierung an Jesus als Vorbild. Doch damit wird Glaube anstrengend und die Kirche kraftlos!

Mehr Power geht nicht: „Jesus“ bedeutet Heil und Heilung

Nun ist der Name Jesus keine magische Formel. Doch er enthält das größte Angebot, das Gott der Menschheit jemals gemacht hat. Die Apostel bezeugten damals vor Gericht: „Im ganzen Himmel gibt es keinen anderen Namen, den die Menschen anrufen können, um errettet zu werden“ (Apostelgeschichte, Kap.  4, V. 10-12). Im hebräischen Namen „Jeshua“, den wir mit „Jesus“ wiedergeben, steckt die gesamte Liebe des Vaters, mit der er seinen Sohn in die Welt schickt: „Dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von aller Schuld befreien“, bekommt Josef als Auftrag eines himmlischen Boten (Matthäusevangelium, Kap. 1, V. 21).

Hinter dem Namen Jesus steht ein ganzes Programm, mit dem der Schöpfer die Wiederherstellung seiner Schöpfung einleitet: „Der HERR hilft, heilt, rettet“. Wo in der hebräischen Bibel, besonders in den Psalmen, vom „Heil“ Gottes, von „Rettung“ durch Gott die Rede ist, leuchtet er bereits in verborgener Weise auf: Jesus, der Messias Israels und „Heiland“ der Welt.

Lasst uns seinen Namen anrufen: frei und un-verschämt

Wie finden wir Zugang zur entscheidenden Quelle, aus der unsere Kirche neue geistliche Kraft erhält? Die Quelle ist eine Person. Der Weg ist er selbst: der „gute Name, der über euch ausgerufen ist“ (Jakobusbrief, Kap. 2, V. 7)! Es sind nicht zuerst unsere tollen Programme, neue Methoden oder verbesserte Strukturen, durch die unsere Kirche wieder Ausstrahlungskraft entwickelt. Es ist der lebendige Gott in unserer Mitte, der sich in Christus zeigt. Seine Präsenz zieht die Menschen an. Seine Kraft verwandelt Herzen. Sein Geist ermöglicht lebendige Gemeinde. Vater, Sohn, Heiliger Geist – sie sind das perfekte Gemeindeentwicklungsteam. Darum lasst uns zu denen gehören, „die den Namen von Jesus Christus, unserem Herrn, anrufen“ (1. Korintherbrief, Kap. 1, V. 2) – ohne religiöse Verschämtheit!


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Swen Schönheit

Swen Schönheit ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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Ein Gedanke zu “Schämen wir uns etwa für Jesus?

  1. Ich glaube , dass der Name Jesus unzählbare Konnotationen in unserer Gesellschaft hat und dass daher vielleicht eher eine Sorge oder Angst mit dem öffentlichen Gebrauch seines Namens einhergeht, als Scham. Unheimlich viel Böses wurde in der Kirchengeschichte im Namen Jesu verübt und sein Name missbraucht, um Macht über Menschen zu gewinnen. Das sollte Scham hervorrufen!
    Trotzdem bin ich überzeugt, dass ich, die ich aus seiner Gnade, Liebe und Vergebung lebe, nicht anders kann, als mit und von ihm zu sprechen und seinen Namen zu gebrauchen (so, wie Petrus und Johannes das auch erlebt haben). Auch wenn das heißt, mich erklären zu müssen oder dass andere mir nicht mehr zuhören.
    Lasst uns uns auf diese Gespräche einlassen, was Jesus uns bedeutet!

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