Wie das Kreuz seine Kraft in unserem Leben zeigt

Welche Bedeutung das Leiden und Sterben Jesu Christi am Kreuz für uns hat, ist auch heute wieder umkämpft. Zu Karfreitag spricht Swen Schönheit dazu klare Worte – wie auch im neuen Buch „Die Kraft des Kreuzes“, das jetzt erschienen ist.   

Morgen an Karfreitag erinnern wir uns daran, dass Jesus Christus am Kreuz starb, stellvertretend für uns und unsere Sünden. Swen, wieso ist zu diesem „theologischen Klassiker“ jetzt gerade das neue Buch „Die Kraft des Kreuzes“ erschienen, für das du einen Artikel geschrieben hast?

Weil das alte Thema heute wieder das neue Thema ist. Das Kreuz war schon immer umstritten: Paulus bezeichnet es im 1. Korintherbrief als „Skandalon“, als Stein des Anstoßes, und zwar für Juden wie für Griechen (V. 18-23). Für die Juden war der Gedanke unerträglich, ein Gekreuzigter könnte der Messias sein, für die gebildeten Griechen war es pure Dummheit. Schwachsinn, würden wir heute sagen. Dass das Kreuz immer schon umkämpft war, kann man mit Paulus nur damit erklären, dass darin enorme Kraft liegt (griech. „dynamis“). Wenn also Gott seinen Heilsplan mit uns Menschen, seinen Wunsch, die Beziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf wiederherzustellen, dort am Kreuz kulminieren lässt, ist es kein Wunder, dass der Teufel das bekämpft. Es gibt alle Varianten von Attacken gegen das Kreuz. Als Symbol hat man es auf den Kopf gestellt oder Haken drangemacht. Es wird entleert, es wird ritualisiert. Unsere Aufgabe als Christen ist es, dass wir freilegen, welche Kraft darin liegt.

Das Kreuz erschließt sich also nicht „von selbst“?

Beim Kreuz geht es darum: Gott erbarmt sich über das Minus unseres Lebens (all unsere Defizite und unsere Unfähigkeit, vor Gott bestehen zu können) und durchkreuzt es vom Himmel her. „Vom Minus zum Plus“: So hieß vor rund 20 Jahren eine Verteilschrift von Reinhard Bonnke, die das sehr gut auf den Punkt gebracht hat. Mein Eindruck ist, dass das Kreuz für viele Gemeindeglieder aber eher abstrakt bleibt: Die Abendmahlsworte „Christi Blut, für dich vergossen“, sind zwar vertraut, das Geschehen von damals und das eigene Leben kommen aber nicht zusammen. Das ist der Gap, den wir überwinden müssen. Nur so kann die Kraft des Kreuzes für unser Leben heute wirksam werden.

Heute wird von manchen aber wieder infrage gestellt, ob Gott wirklich ein stellvertretendes Opfer „braucht“.

Das ist ja der Vorwurf an die traditionelle christliche Kreuzestheologie. Ich glaube, das Missverständnis liegt in der Antwort auf die Frage: Braucht Gott ein Blutopfer? Nein, er braucht es nicht, aber wir. Die Opferrituale des Alten Testaments waren eigentlich eine lange Vorbereitung auf das Kreuz. Mit jedem Opfertier, das der Mensch brachte, wurde ihm klar: „Ich muss etwas ersetzen.“ Denn im Grunde berauben wir Gott (und unsere Mitmenschen und die ganze Schöpfung), wenn wir sündigen – allein schon, wenn wir unsere Zeit vertun. Der Gedanke, dass wir Gott etwas nicht mehr erstatten können, ist wichtig, um Schuld und Sühne zu verstehen. Auch ein Tieropfer konnte diese Erstattung nicht wirklich leisten.

Wenn nun bekannte Theologen sagen, dass sie die Sühneopfer-Theologie im Neuen Testament nicht finden (darauf geht das Buch auch ein), was sagst du dazu?

Das stimmt einfach nicht! Das ist schon exegetisch falsch. Paulus nimmt diesen Gedanken definitiv auf, im Römerbrief zum Beispiel spricht er im Zusammenhang mit der Erlösung in Christus vom „Sühneort“ (griech. „hilasterion“; Kap. 3, V. 25) oder „Sühnemittel“. Das erinnert an die Bundeslade. Es gibt im Neuen Testament verschiedene Bilder, z.B. das eines juristischen Freispruchs: Trotz all der Faktoren in der Klammer meines Lebens wird das Vorzeichen neu, aus Minus wird Plus. Martin Luther hat diese zentrale Wahrheit wiederentdeckt und darum „Gnade“ so sehr betont: „Allein aus Gnade, allein durch Christus, allein aus Glauben“ erfahren wir diesen Freispruch. Ein anderes Bild im Römerbrief ist das vom Loskauf: Wir werden losgekauft und in die Freiheit entlassen, wir sind nicht mehr Sklaven, sondern Kinder.

Mein Beitrag im Buch befasst sich vor allem mit dem 53. Kapitel von Jesaja. Dieser Text wird im Neuen Testament am häufigsten zitiert und zieht sich wie ein verborgener roter Faden hindurch. Bei diesem alttestamentlichen Propheten ist die Rede davon, dass Gott das Leben seines Knechts „als Schuldopfer einsetzt“ und er so „die Sünden der Vielen aufhob“ (V. 10 u. 12). Jesus tauscht mit uns die Plätze. Das ist vor allem in den Abendmahlsworten angelegt, wenn Jesus davon spricht, dass sein Blut „für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Matthäusevangelium, Kap. 26, V. 28). Wenn man den Sühnegedanken aus dem Neuen Testament nimmt, entleert man auch das Abendmahl.

Gibt es auch Irrwege der Sühne-Theologie?

Mit Recht zurückgewiesen wird der Gedanke eines zornigen, rachsüchtigen Gottes, der durch ein Blutopfer gnädig gestimmt werden müsste. Dieses sehr düstere Gottesbild entspricht auch nicht dem Alten Testament: Dass Gott seine „Kinder“ zur Umkehr ruft, um sie dann mit offenen Armen zu empfangen, ist dort längst angelegt! Es geht also nicht darum, dass wir Gott gnädig stimmen müssten, sondern dass Gott selbst ein Mittel findet, dass er „die Welt mit sich selbst“ versöhnt hat, wie es der 2. Korintherbrief ausdrückt (V. 19). Gott findet durch das Kreuz einen Weg, um die Brücke zu bauen, die wir abgebrochen haben. Der Sündenfall war eine einseitige Aufkündigung einer Freundschaftsbeziehung. Gott baut die Brücke und, ja, der Preis ist blutig. Es kostete seinen eigenen Sohn das Leben. Gleichzeitig ist beim Propheten Jesaja (Kap. 53) nicht nur von Schuld, sondern auch von unserem Schmerz die Rede, den Jesus getragen hat. Im blutigen und qualvollen Geschehen am Kreuz zeigt Gott der Welt auch, dass er in unseren Schmerz hineinkommt – in den Schmerz, der wie die zweite Seite der Medaille zur Sünde und zur Gottesferne der ganzen Schöpfung gehört. Der Sohn Gottes übernimmt nicht nur juristisch Schuld, sondern er leidet auch. Diese Dimension wird von manchen vernachlässigt.

Wie erleben Menschen nun diese Kraft des Kreuzes praktisch in ihrem Leben?

Als Seelsorger gehe ich mit leidenden und konfliktbeladenen Menschen zum Kreuz und mache zuerst deutlich: Wir haben einen Gott, der uns versteht, egal wo die Scham sitzt oder welche Schuld drückt. Zweitens: Gott steht schon an unserer Seite. Das Kreuz bedeutet, Jesus ist mit uns. Er geht in unseren Schmerz hinein. Drittens, Jesus ist für uns. Er ist fest entschlossen, Schuld und Schmerz auf sich zu nehmen. Dann kommt der eigentlich konkrete Schritt: Wir dürfen Jesus etwas zumuten und ihm all das aufladen, denn er war bereits damit beladen. Die Frage ist nicht, ob er bereit ist, das zu tragen, sondern ob ich bereit bin es loszulassen. Auch wenn Wiedergutmachung eine Konsequenz sein kann, muss ich doch die Last meiner Schuld nicht mehr selbst tragen. Das ist etwas sehr, sehr Konkretes. Unter dem Kreuz geschieht Seelsorge. Dort beten wir um Heilung, dort sprechen wir einander Vergebung zu, dort ist Versöhnung möglich. Das ist die „horizontale Dimension“. Doch im Kreuz kommt auch die „vertikale“ Beziehung zu Gott in Ordnung! Darin liegt Kraft – sie muss nur von uns in Anspruch genommen werden.

Gleichzeitig passiert noch etwas, was sich vielleicht nicht so leicht fassen lässt: Wir sind ja auch befreit davon, sündigen zu müssen. Das beschreibt Paulus im Römerbrief (Kap. 6) in starken Worten. Wie erlebe ich dieses „tot sein für die Sünde“ im Leben als Christ?

Die Sünde im Sinn von „gestörter oder abgebrochener Beziehung zu Gott“ ist grundlegend geheilt. Wir leben, um es mit dem Bild des Lukasevangeliums (Kap. 15) zu sagen, im Vaterhaus. Trotzdem ist die Sünde immer noch eine Macht, die uns umgarnt, die uns beeinflussen oder auch manipulieren möchte. Das kann in vielerlei Hinsicht sein – durch Charakterschwächen, durch Zorn oder Traurigkeit, die uns immer wieder überfallen, durch eine Lust oder eine Sucht … Da können wir der Sünde sagen: „Du, ich gehöre dir nicht mehr. Es gibt einen anderen, der in mir lebt, und der ist größer.“ Das Recht der Sünde ist gebrochen! Dabei ist das Kreuz kein „magisches Symbol“, sondern unser Vorzeichen, unter dem wir stehen. Wenn wir zum Beispiel beten, dass wir geschützt sind durch das vergossene Blut Christi, dann ist das die Inanspruchnahme dessen, was er am Kreuz für uns getan hat. Sehr konkret und sehr detailliert – da, wo wir es brauchen.

„Die Kraft des Kreuzes“ ist ein theologisches Buch. Wer sollte es unbedingt lesen?

Es richtet sich an Theologen und Verkündiger sowie an engagierte Gemeindeglieder. Es ist für alle, die ihre Verkündigung schärfen und ihre theologische Position festigen oder korrigieren wollen. Und für Gemeindeglieder, die verunsichert sind, weil sie verschiedene Strömungen in der christlichen Landschaft wahrnehmen und sich neu vergewissern wollen.


Die Kraft des Kreuzes – Warum der Tod Jesu die größte Chance unseres Lebens ist
Von Frauke Bielefeldt (Hrsg.)

Mit einem Beitrag von Swen Schönheit

Möchten Sie Ihren Nachbarn und Arbeitskollegen erklären können, was der Sühnetod Jesu mit ihrem Leben zu tun hat? Möchten Sie tiefer verstehen, warum ein blutiges Opfer nötig war, wo Gott doch die Liebe ist? Dieses Buch gibt Antworten und stellt das Kreuz dorthin, wo es hingehört: in die Mitte unseres Glaubens.

208 Seiten, Paperback, EUR 18.00

Versandkostenfrei bestellbar über den GGE Webshop

Brunnen | GGE
ISBN 978-3-7655-2164-5


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Swen Schönheit

Swen Schönheit ist evangelischer Pfarrer in Berlin-Heiligensee und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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