Dem Gott begegnen, der mich sieht

Die Jahreslosung 2023 „Du bist der Gott, der mich sieht“ aus dem 1. Buch Mose bezieht sich auf Hagar, eine Sklavin auf der Flucht. Die Begegnung mit Gott verändert ihre Entscheidungen und ihr Leben. Ein Impuls von Madlen Goldhahn.

Abram und Sarai konnten keine Kinder bekommen, da Sarai unfruchtbar war. Eines Tages schlug sie ihrem Mann vor: „Du weißt, dass der HERR mir Kinder versagt hat. Aber nach den geltenden Gesetzen kannst du mir durch eine Sklavin Kinder schenken. Darum überlasse ich dir meine ägyptische Magd Hagar. Vielleicht werde ich durch sie doch noch Nachwuchs bekommen!“ Abram war einverstanden, und Sarai gab ihm die Ägypterin Hagar zur Nebenfrau, die ihr als Sklavin diente. Sie lebten zu der Zeit schon zehn Jahre im Land Kanaan. Abram schlief mit Hagar, und sie wurde schwanger. Als Hagar wusste, dass sie ein Kind erwartete, sah sie auf ihre Herrin herab. Da beklagte Sarai sich bei Abram: „Jetzt, wo Hagar weiß, dass sie schwanger ist, verachtet sie mich – dabei war ich es, die sie dir überlassen hat! Du bist schuld, dass ich jetzt so gedemütigt werde! Der HERR soll entscheiden, wer von uns beiden im Recht ist!“ „Sie ist dein Eigentum“, erwiderte Abram, „ich lasse dir freie Hand – mach mit ihr, was du willst!“ In der folgenden Zeit behandelte Sarai Hagar so schlecht, dass sie davonlief. Der Engel des HERRN fand sie an einer Wasserstelle in der Wüste auf dem Weg nach Schur und fragte sie: „Hagar, du Sklavin von Sarai, woher kommst du und wohin gehst du?“ „Ich bin auf der Flucht vor meiner Herrin Sarai“, antwortete sie. Da sagte der Engel des HERRN zu ihr: „Geh zu ihr zurück. Bleib ihre Sklavin und ordne dich ihr unter! Ich werde dir so viele Nachkommen schenken, dass man sie nicht mehr zählen kann! Du bist schwanger und wirst bald einen Sohn bekommen. Nenne ihn Ismael (,Gott hört’), denn der HERR hat gehört, wie du gelitten hast. Dein Sohn wird wie ein wildes Tier sein, das niemand bändigen kann. Er wird mit jedem kämpfen und jeder mit ihm. Voller Trotz bietet er seinen Verwandten die Stirn.“ Da rief Hagar aus: „Ich bin tatsächlich dem begegnet, der mich sieht!“ Darum nannte sie den HERRN, der mit ihr gesprochen hatte: „Du bist der Gott, der mich sieht.“ Der Brunnen an dieser Stelle erhielt den Namen: „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“. Er liegt bekanntlich zwischen Kadesch und Bered. Hagar ging wieder zurück. Sie bekam einen Sohn, und Abram nannte ihn Ismael. Abram war zu der Zeit 86 Jahre alt. (1. Buch Mose, Kap. 16; Hoffnung für alle)

„Woher kommst du und wohin gehst du?“

Das Neonlicht flackert in der Notaufnahme. Der Kopf der Pflegekraft ist gebeugt über den kleinen Körper des Mädchens. Für kurze Augenblicke spürt sie eine fatale Ausweglosigkeit, weil sie einfach am Ende der körperlichen und vielleicht auch geistigen Kräfte ist. (Anfang Dezember 2022 schlagen Kinderkliniken bundesweit Alarm, weil sie fürchten, die Scharen an akut erkrankten Kindern nicht mehr versorgen zu können.)

Am Rand des Waldes suchen seine Augen den schneeverhangenen Himmel ab. Nichts geht mehr, die Decken gefroren, die Kraft verbraucht. (Der Wintereinbruch Anfang Dezember 2022 stellt die ukrainische Zivilbevölkerung und die einfachen Soldaten auf beiden Seiten vor große persönliche Herausforderungen.)

„Woher kommst du und wohin gehst du?“, fragt der Engel.

Die Flucht trifft Hagar unvorbereitet, sie hat keine Zeit, sie hat kein Ziel, sie kennt niemanden, sie ist eine Fremde (1. Buch Mose, Kap. 16).

„Woher kommst du und wohin gehst du?“, fragt sie der Engel des Herrn. Er findet sie an einer Wasserquelle in der Wüste. Und dann verwickelt der Engel sie in ein Gespräch. Er will ihre Geschichte hören.

Hagar hat keine Kraft mehr für das Suchen nach tieferen Gründen ihrer Misere, die Fakten sind mit wenigen Worten benannt.

Doch mit den tröstenden Worten des Engels: „Der Herr hat dich gehört, als du ihm deine Not geklagt hast“, begreift Hagar, was das für ein Gott ist, der sich einzelnen Lebensgeschichten zuwendet.

Gott hat Hagar gesehen, er hat sie nicht übersehen, sondern ganz genau hingeschaut. Sie wird in ihrem einzigen Ausweg, der Flucht, nicht bestärkt, sondern sie wird zurückkehren – innerlich aufgerichtet durch Gottes Versprechen, mit ihr und ihren Nachkommen weiterzugehen.

Wo kommst du her und wo gehst du hin?

Lassen wir uns in diese Frage verwickeln mit den Worten der Erzväter- und Müttererzählungen aus dem 1. Buch Mose: „Du bist der Gott, der mich sieht.“

Und lasst uns aufmerksam sein für Geschichten von Menschen, die davon berichten: „Ich bin tatsächlich dem begegnet, der mich sieht!“ Menschen, die uns nahestehen, oder Fremde, für die wir beten, in den Krisengebieten und Krankenhäusern, an all den Wüstenorten unserer Zeit. Menschen, die das Gefühl haben nicht gesehen zu werden, oder Menschen, deren Gier nach Aufmerksamkeit so groß ist, dass sie jeden Preis dafür bezahlen, überhaupt wahrgenommen zu werden.

Damit wir erleben, wie Wüstenorte zum „Brunnen des Lebendigen“ werden – und Menschen, von Gottes Gegenwart berührt, ihre Herausforderungen und Aufgaben in diesem neuen Jahr 2023 annehmen.


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Madlen Goldhahn

Madlen Goldhahn ist Pfarrerin im Kirchenkreis Rudolstadt-Saalfeld (Evangelische Kirche in Mitteldeutschland).

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