Papst-Interview: Keine weiße Fahne für Putin!

Franziskus hat sich zum Ukrainekrieg geäußert und Protest ausgelöst. Henning Dobers zur irritierenden Russlandfreundlichkeit des Papstes und den Grenzen von Pazifismus.   

weißes Tuch hängt vor Mauer

Im Ernst jetzt? Die Ukraine soll auf den russischen Bruder- und Raubmord mit der weißen Fahne reagieren? In biblischer Analogie: Auf Kains Brudermord an Abel (vgl. 1. Buch Mose, Kap. 4) beziehungsweise Ahabs Raubmord gegenüber Nabot (vgl. 1. Buch der Könige, Kap. 21) soll mit einer weißen Fahne reagiert werden? Ist das jetzt die Botschaft der Kirche an die Unterdrückten, Vergewaltigten, Entführten und Überfallenen? Seit Februar 2022 kämpft die Ukraine um ihre Existenz und um ihre Identität. Vor wenigen Tagen hat sich nun Papst Franziskus zu Wort gemeldet und im Hinblick auf die Ukraine vom „Mut zur weißen Fahne“ gesprochen. Es war nicht das erste Mal, dass er sich zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geäußert hat. Regelmäßig erinnert er an das Leid der Menschen und fast genauso regelmäßig schweigt er im gleichen Atemzug zu Russlands Verbrechen.

Wieso schweigt der Papst zur russischen Aggression?

Erinnern wir uns: Im Frühjahr 2022 sprach der Papst von einem „sinnlosen Massaker“ – kein Wort der Kritik an Putin oder an dessen KGB-Kollegen Patriarch Kirill I. (mit geschätztem Privatvermögen von vier Milliarden Euro).

Zum zehnten Jahrestag seines Pontifikats sprach Franziskus im März 2023 von „imperialen Interessen“ seitens aller in den Krieg in der Ukraine verstrickten Großmächte. Wieso keine explizite Kritik an Russland als dem verursachenden Aggressor?

Im August 2023 lobte Franziskus in einer Videoschalte mit Jugendlichen aus Petersburg das „imperiale Russland“. Er erinnert an die großen Heiligen, an Peter den Großen und Katharina II. Zum Schluss sagt er: „Gebt dieses Erbe niemals auf. Ihr seid die Erben der großen Mutter Russlands.“. Was genau meint er damit?

Nun also hat sich Papst erneut gemeldet. Der Kreml nimmt seinen Beitrag wohlwollend auf. Im Nachgang versuchen derweil Vatikan-Offizielle mit verschwurbelten Formulierungen irgendwie einzufangen, was Franziskus losgelassen hat. Vergebens.

Der Papst stößt ins russische Propaganda-Horn

Mit seiner Rede vom „Mut zur weißen Fahne“ übernimmt er Inhalte, wie sie auch russische Trolle im Netz verbreiten. Es erinnert mich auch an die Kommentare, die es vor zwei Jahren auf meinen ersten Beitrag zu Putins teuflischem Angriffskrieg hagelte: Die Ukraine solle doch bitte kapitulieren, die russische Armee sei einfach zu mächtig, niemand wolle doch, dass so viele Menschen sterben …

Schwerer noch wiegt die Wortwahl. Wenn man „besiegt“ sei, brauche es den Mut zu verhandeln. Woher „weiß“ er, dass die Ukraine besiegt ist? Im Nachsatz benutzt er dann zweimal – also ganz bewusst – das italienische Wort „vergogna“, „Scham“. Man solle keine „Scham“ verspüren zu verhandeln. Damit suggeriert er, die Ukraine kämpfe nicht aus verzweifeltem Überlebenswillen heraus gegen einen überlegenen und enthemmten Feind, sondern weil sie der Ehre wegen (denn darum geht es bei Scham) nicht zugeben wolle, dass Putin gewonnen habe.

Sollte sich die Ukraine jemals für die weiße Fahne (also faktisch Kapitulation) entscheiden, dann ist das ganz allein ihr Ding. Und sollte sie es tun müssen, dann wird es damit zusammenhängen, dass wir im Westen ihr zu spät, zu wenig und zu halbherzig beigestanden haben. Die ganze Welt ist beteiligt durch Zutun, durch Nichtstun oder Zu-wenig-Tun: Iran, Nordkorea, Indien, China auf der einen Seite, der Westen auf der anderen. Es geht um die zukünftige Weltordnung: Gilt das Recht des Stärkeren oder die Stärke des Rechts?

Gegen das entfesselte Böse hilft kein Pazifismus

Der Papst und die weiße Fahne. Er ist übrigens nicht der einzige, der in dieser Frage so denkt: Margot Käßmann und andere, die aus theologischer Überzeugung heraus geistliche Prinzipien des Pazifismus auf weltliche Zusammenhänge anwenden, sind derselben Auffassung. Es sei jedoch daran erinnert: Papst Franziskus, Margot Käßmann, Franz Alt und andere, die sich dem links-pazifistischen Lager zurechnen, können nur deshalb so frei reden und leben, weil alliierte Truppen zusammen mit anderen Ländern im Europa der 1940er-Jahre eben nicht die weiße Fahne gehisst haben, sondern mutig, unter großen Opfern und in einem langjährigen Kampf dem radikal Bösen widerstanden haben. Ansonsten würden heute noch in halb Europa die Hakenkreuzfahnen wehen. Wahrscheinlich sogar mitten in der evangelischen Kirche.

Eine orientalische Redensart besagt: Das Monster, das du heute fütterst, wird morgen als Ungeheuer aufwachen und noch gefräßiger sein. Wenn wir den Hunger des imperialistischen Monsters heute mit Kapitulation, Defätismus, schwärmerischem Pazifismus oder Kapitulation stillen, wird es morgen als Ungeheuer aufwachen und noch mehr zum Fraß fordern.

Persönlich Pazifist sein hat eine Verheißung

Es ist eine Sache, wenn sich Christen aufgrund geistlich-theologischer Erkenntnisse persönlich für den Weg des Pazifismus entscheiden (insofern könnte der Papst ja seine Bodyguards und die Schweizer Leibgarde entlassen, das wäre sein gutes Recht). Es hat eine gute Tradition und biblische Verheißung, persönlich als Pazifist zu leben (vgl. Matthäusevangelium, Kap. 5, V. 9). Diese Haltung muss respektiert werden. Es ist aber eine ganz andere Sache, diese Haltung als Maxime für staatliches Handeln einzufordern. Aus evangelisch-lutherischer Sicht wäre das „Schwärmerei“ – indem man nämlich versucht, mit dem Evangelium ganz unmittelbar die Welt zu regieren.


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Henning Dobers

Henning Dobers ist Pfarrer und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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Ein Gedanke zu “Papst-Interview: Keine weiße Fahne für Putin!

  1. Lieber Henning, da kann ich Dir nicht zustimmen. Die Weiße Fahne ist ein Zeichen der Verhandlungsbereitschaft – nicht der Kapitulation. Angesichts des Kräfteverhältnisses in diesem Krieg ist es für die Ukraine aussichtslos, auf einen Sieg zu hoffen. Alle Parameter sprechen dagegen – und die Unterstützungsbereitschaft des Westens lässt auch schon nach. Was jetzt passieren muß: Gespräche beider Seiten, wobei die ukrainische Seite alle Unterstützung bekommen muss, insbesondere Sicherheitsgarantien durch den Westen. Dagegen müsste sie eventuell ihren Antrag auf NATO-Mitgliedschaft wieder zurücknehmen. Eventuell bietet man den Russen einen privilegierten Status für Handel mit der EU an – und und und: All das kann NUR in Verhandlungen – weitgehend ohne Vorbedingungen – besprochen werden. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß der Papst das auch so gemeint hat. Schießen statt reden ist keine Lösung. beste Grüße. Alexander C

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