War es angemessen, US-Präsident Donald Trump im Gottesdienst persönlich ins Gewissen zu reden? Henning Dobers findet das nicht.

In diesen Tagen erlebe ich ein Déjà-vu: Während Donald Trumps erster Amtszeit 2017-2021 gehörte es offenbar zum Standard evangelischer Predigtkultur, ihn wenigstens einmal warnend erwähnt zu haben – egal an welchem Sonntag im Kirchenjahr und egal welcher Predigttext. (Wladimir Putin kam übrigens so gut wie nie vor.) Und ich erinnere mich: Einem Prediger gelang es, seinen Empörungsanlass innerhalb von drei Minuten das erste Mal namentlich zu nennen. Das war Rekord!
Müssen wir uns nun auf weitere vier Jahre dieses Predigt-Stils einstellen? Oder anders gefragt: Wie würde es dir gehen, wenn du in einem feierlichen Gottesdienst, in vollbesetzter Kirche und mit weiteren Millionen von Teilnehmern im Web, vom Prediger direkt und persönlich von der Kanzel herab vor der gesamten Öffentlichkeit ermahnt – im eigentlichen Wortsinn „abgekanzelt“ – würdest? Der gerade ins Amt eingeführte amerikanische Präsident jedenfalls hat das vor wenigen Tagen in Washington erlebt und umgehend dagegen protestiert.
Versteht mich nicht falsch: Mir geht es nicht darum, eine schillernde und extrem polarisierende öffentliche Person der US-amerikanischen Politik in Schutz zu nehmen. Das Problem ist nicht, dass ein Politiker von einem Pastor, einer Bischöfin oder wem auch immer mit hoffentlich guten geistlichen Argumenten kritisch hinterfragt wird.
Das Problem war in diesem Fall der Rahmen (ein feierlicher, öffentlicher Gottesdienst) sowie die Art und Weise (direkte, namentliche Konfrontation eines Gottesdienstteilnehmers von der Kanzel herab, rhetorisch verpackt als „Bitte“: „Ich bitte Sie, … Herr Präsident“). Bischöfin Mariann Edgar Budde hat das Recht der öffentlichen Wortverkündigung: Auf dieser Basis nutzte sie eine möglicherweise einmalige Gelegenheit, um diese dann jedoch durch die Art und Weise, wie sie es tat, und die zumindest diskussionswürdigen Inhalte, die sie brachte, zu vermasseln.
Wenn nun manche dieses Predigtverhalten auf verschiedenen Plattformen „mutig“ und in Anlehnung an das Alte Testament „prophetisch“ nennen, entgegne ich: Dieses Verhalten ist äußerst unklug, es bewirkt genau das Gegenteil, es ist von der Predigtlehre her unprofessionell und grenzt aufgrund der Bloßstellung eines Menschen von der Kanzel herab an Missbrauch des Kanzelrechts.
Normalerweise gehört Kritik am Verhalten oder an inhaltlichen Positionen eines Menschen zunächst in ein Gespräch unter vier Augen. Gerade in Gemeinde und Kirche. Bei öffentlichen Personen sieht das natürlich anders aus. Aber in direkter Ansprache von der Kanzel herab? Das gehört nicht in einen Gottesdienst und nicht in den Rahmen einer Predigt.
Drei Prozent unangemessener Predigtstil können 97 Prozent richtigen Inhalt zunichte machen. Keiner der so Abgekanzelten wird wirkmächtig für eine gute Sache gewonnen oder seine Haltung und sein Verhalten ändern. Nicht einer! Und auch wenn die Predigt von Mariann Edgar Budde jetzt mancherorts bejubelt wird: Sie hat ihrer Sache leider einen Bärendienst erwiesen und wahrscheinlich sogar mehr Probleme geschaffen als gelöst.
Ich stimme dir grundsätzlich zu. Was wäre zu predigen zu so einem Anlass? Ich denke, die biblischen Maßstäbe an eine christliche Regierung, die zu sein Trump angetreten ist. Da darf dann auch gesagt werden, was eine solche Regierung NICHT tut. Wenn Trump nicht total dickfellig ist, wird er verstehen, was gemeint ist.
Mit ihrer persönlichen Bitte ist Frau Budde nicht mehr Verkündigerin, sondern Privatperson. Halt: Mit der Einleitung „Im Namen Gottes“ beansprucht sie, Prophetin zu sein. Die haben aber nie Bitten geäußert, sondern Gottes Urteil bzw. Seine Anweisungen ausgesprochen. Hier gebe ich Henning voll Recht.
Das Ganze zeigt die Politisierung der Kirchen der USA. Der ÖRK-Vorsitzende mit seinem Lob steht für dessen Politisierung.
Ich habe die Predigt nicht gelesen, nur die Auszüge, die bei uns in der Presse zur Verfügung standen. In diesen Auszügen hat sie allerdings den Präsidenten nicht abgekanzelt, sondern um Erbarmen gebeten. Das ist ein anderer Sprachmodus und eine andere innere Haltung. Sie ist bewusst als persönliche Äußerung der Predigerin formuliert. Der kurze Originalton der Predigt in dem Youtube Clip scheint nahezulegen, das die Bitte als solche echt war, keine verkappte Konfrontation. Hinzu kommt eine weitere Überlegung: Trump kam als Präsident, nicht als Privatperson, Kirchen- oder gar Gemeindemitglied, und in dieser Funktion wurde er angesprochen. Genau dazu dient doch ein solcher Gottesdienst. Trump ist es von seinen evangelikalen Freunden her sowieso gewohnt, als Präsident persönlich adressiert zu werden. Und nachdem er selber die Vorsehung beziehungsweise den Willen Gottes thematisiert hat und immer wieder – zum Teil auch unerträglich – thematisiert, halte ich diese Bitte für keine Grenzüberschreitung. Wer Gott öffentlich in die Politik hinein holt, darf sich nicht beklagen.
Etwas anderes ist natürlich die unqualifizierte Politiklastigkeit mancher evangelischer Predigten in Deutschland.
Was erfahre ich hier aus Ihren Worten? Ich lese, dass Predigt Imperativ zu sein hat, nicht aber als Bitte formuliert werden darf. Dass Ängste von Menschen zu benennen, psychologisierend manupulativ ist. Dass Sie „Angst“ in Anführungsstriche setzen, weist darauf hin, dass für Sie das Benennen von Ängsten zum „kirchlichen Betroffenheitsjargon“ zählen. Als Christ und Theologe und häufiger Prediger kann ich Ihnen da nirgendwo folgen. Und auch Ihre Einschätzung „Es hat das Gegenteil bewirkt“ geht meines Erachtens völlig an der Realität vorbei. In den USA ist diese Stimme gehört worden – und zwar nicht nur von denen, die sowieso schon linkschristlich sind, sondern auch von den „Nones“, von denen, die sich schaudernd vom Christentum abgewandt haben. Sie sprechen Frau Budde auch ab, Mut gehabt zu haben. Ihr Argument dazu ist merkwürdig. Sie nennen Beispiele mutiger Menschen – so als gäbe es nur eine Form von Mut. Sie lassen hier den Mut nicht gelten, weil Sie die Aktion für unklug halten. Dabei führen Sie ja selbst Beispiele der Kritik an Herrschenden an. Aber wieder beachten Sie dabei nicht, dass es sich in diesem Gottesdienst um eine innerchristliche Auseinandersetzung handelt, dass Frau Budde den Präsidenten auf seinen Anspruch, Christ zu sein, anspricht. Wie stellen Sie sich denn einen solchen Gottesdienst vor? Soll da alles seinen schönen frommen Gang gehen?
Lieber Herr Kremers,
vielen Dank für Ihren erneuten Kommentar. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass der Ort und der Stil im Blick auf das Anliegen nicht angemessen waren. In der Einschätzung dieses Sachverhaltes unterscheiden wir uns.
Lieber Henning, so habe ich das noch gar nicht gesehen, danke für diesen guten Perspektivwechsel! Ich frage mich aber: Wenn nicht in der Predigt zum Amtsantritt, wo ist dann der angebrachte Ort für diese meiner Meinung nach richtige und wichtige Mahnung? Immerhin repräsentierte Bischöfin Budde in diesem Moment quasi das Christentum. Und gerade, dass Herr Trump sich auf Gottes Schutz und Führung beruft und auf die Bibel vereidigt wurde, legt für mich nahe, ihn auch an seine Verantwortung vor diesem Gott zu erinnern. Nicht zuletzt, weil tatsächlich viele Menschen Angst vor seiner Regierung haben dürften, und das nicht ohne Grund. In meinen Augen hat Kirche nicht nur das Recht, sondern auch die Verantwortung, im Weltgeschehen für Gottes Sache einzutreten, doch inwiefern die Predigt ein angemessener Ort für eine persönliche Mahnung ist, ist eine gute Frage… Ich bete jedenfalls um Wohlergehen für die vielen Einzelschicksale und um Weisheit für den Präsidenten!
Lieber David,
danke für deinen Kommentar. Ich denke, unser Job als Prediger ist es, schriftgemäß über die Aufgabe von Regierungen in dieser Welt zu lehren und beizeiten das direkte Gespräch mit ihnen zu suchen. In Predigt, in Lehre und in direkten Begegnungen kommt zur Sprache, dass die Herrschenden die Aufgabe haben, Schwache zu schützen und Übeltäter zu bekämpfen (Röm 13 und andere Stellen). Interessant wäre an dieser Stelle einmal, zu untersuchen, wie Christen in den ersten Jahrhunderten Rom bzw. den Kaiser und seine eingesetzten Machthaber kritisiert haben. Haben sie das in Predigten getan? Haben sie dafür die grammatische Form einer „Bitte“ gewählt? Zusätzlich zu Lehre und Predigt ist es „vor allen Dingen“ (!) unsere Aufgabe, für Regierende zu beten, dass sie Gottesfurcht haben, die Würde des Menschen achten und Leben und Miteinander schützen (1. Tim 2, 1ff).
LIeber Herr Dobbers, was Sie da gar nicht beachten, ist der Zusammenhang. In Röm. 13 handelt es sich um eine heidnische staatliche Institution. Bischöfin Budde hat Präs. Trump auf seine Behauptung angesprochen, als Christ von Gott bewahrt worden zu sein. Sie spricht ihn als Christ an. Ich finde es sehr befremdlich, dass Sie eine prophetische Kritik als solche nicht gelten lassen. Es geht nicht um irgendeine persönliche Verfehlung, sondern um eine Politik, die Millionen Menschen negativ betrifft. Und es ist eine Politik im Namen Gottes! Sie reihen sich mit Ihrem Kommentar bei denen ein, die eine menschenverachtende Politik auch noch gottesdienstlich beweihräuchen. Wollen Sie das wirklich?
Lieber Herr Kremers,
meines Wissens beziehen sich Röm 13 und 1.Tim 2,1ff und andere neutestamentliche Bibelstellen grundsätzlich auf staatliche Regierungsgewalt, unabhängig davon, welche Rechtsform sie verkörpert und welcher Religion sie primär zugehörig ist.
Ich „beweihräuchere“ an keiner Stelle Präsident Trump. Wo finden Sie das mir?
Ich kritisiere nicht Kritik am amerikanischen Präsidenten, sondern gebe eine eigene Erfahrung aus den letzten Jahren wieder und kritisiere den Ort und den Stil der Kritik von Bischöfin Budde an ihrem Präsidenten.
Dass die Äußerung von Bischöfin Budde prophetisch sei, ist Ihre Interpretation, meine ist es nicht. Aber darüber habe ich auch gar nicht geschrieben.
Woher weiß der Herr Dobers, dass sich Röm. 13 grundsätzlich auf das Verhältnis Evangelium – Staat bezieht? Das ist SEINE Behauptung.
Off. 13 bezieht sich dann auch grundsätzlich darauf? Off. 13 ist aber das Gegenteil von Röm.13.
Jesaja, Jeremia, Micha, Amis beziehen sich dann auch „grundsätzlich“ auf das Thema?
Dort drängt Gott die Propheten dazu, gegenüber dem König etc. Gerichtsworte zu sagen.
— Die Behauptung von Herrn Dobers steht auf ganz wackeligen Füßen.
Lieber Henning, ich finde sie tatsächlich mutig – und einer, der öffentlich so herumtönt wie Trump und sich als von Gott Berufener postuliert, der darf von einer Bischöfin auch öffentlich an biblische Leitlinien erinnert werden.
Mal angenommen, Kamala Harris wäre Präsidentin geworden und die Bischöfin hatte sie um Barmherzigkeit mit ungeborenen Kindern gebeten – hättest du das auch so kritisiert?
Herzliche Grüße Lui
Liebe Lui,
vielen Dank für deine Nachfrage. Vermutlich wäre eine Bitte um Barmherzigkeit mit ungeborenen Kindern kaum oder gar nicht oder wenn, dann nur in bestimmten Kreisen medial weitergetragen worden. Wenn ich an neutestamentlich bezeugte Kritik an Mächtigen denke (z.B. Johannes der Täufer gegenüber Herodes oder auch Jesus gegenüber den geistlichen Führern), so erfolgte diese Kritik in Inhalt und Wortwahl durchaus kräftig, aber nie in Form einer Bitte oder im Rahmen einer Predigt. Und genau darum geht es mir. Das Genre Predigt wird missbraucht, indem man den an dieser Stelle eigentlich angemessenen (und wohl auch intendierten !) Imperativ, der sich an ein Gegenüber richtet, rhetorisch fälschlich verpackt in eine Bitte und diese dann auch noch manipulativ psychologisierend damit verknüpft, dass Menschen jetzt „Angst“ haben. Ich nennen es „toxische Kommunikation“. Und weil das von der Kanzel aus geschah, habe ich es in meiner Eigenschaft als Theologe und Christi kritisiert.
Es gibt aus christlicher Sicht viele Gründe, den aktuellen, höchst problematischen amerikanischen Präsidenten wegen dessen Auffassungen und Auftreten zu kritisieren. Das gehört jedoch in ein direktes Gespräch, eine talkrunde oder Zeitungsartikel, einen Vortrag, eine Rede, ein Buch, eine Parlamentsdebatte, ein Streitgespräch oder was auch immer – aber nicht in den Gottesdienst im Rahmen einer Pedigt. Nein, mutig war das nicht. Es war unklug, es war der bekannte (kirchliche) Betroffenheitsjargon und hat genau das Gegenteil bewirkt. Mutig sind Menschen wie Alexander Nawalny und andere, die einen mörderischen Dikator kritisieren. Soweit ich es sehe, geschah dies nie in Form einer „Bitte“ sondern in direkter Anrede und / oder in Aktionen.