Warum wir zu Israel stehen

Christsein (und Weihnachten) geht nicht ohne Israel: Zum Start in den Advent klärt Swen Schönheit über unsere jüdischen Wurzeln auf.   

Die Torarolle wird gelesen

Seit dem 7. Oktober bestimmt Israel die Schlagzeilen. Nach dem verheerenden Terrorangriff der Hamas haben führende Politiker ihre „uneingeschränkte Solidarität“ betont: Deutschlands Platz sei „fest an der Seite Israels“. Auch Kirchenvertreter erklärten sich in der Öffentlichkeit „solidarisch mit euch, den Jüdinnen und Juden hier in Deutschland“. Dies ist nicht nur eine Sache von Menschlichkeit und Mitgefühl, sondern auch in unserer besonderen historischen Verantwortung gegenüber Israel begründet.

Jesus wäre heute als Israeli geboren worden

Doch es gibt mehr zu sagen: Für Christen ist Israel nicht nur eine Nation unter vielen, vielmehr liegt hier die Wurzel unserer eigenen Glaubensgeschichte. Gott erwählt sich Israel als sein „besonderes Eigentum“ (2. Mose, Kap. 19, V. 5), mit ihm schließt er den ersten Bund (daher „Altes Testament“). Die Heiligen Schriften Israels sind die Grundlage auch unseres Glaubens. Fast alle Autoren der Bibel waren Juden. Und Jesus wurde – so würden wir heute sagen – als Israeli geboren und verstand sich als Messias Israels. Vielen Christen ist nicht bewusst, wie sehr Kirche und Israel wesensmäßig zusammengehören (die jüdische Wurzel unseres Glaubens wurde im Laufe der Kirchengeschichte zunehmend von griechisch-römischer Kultur und später von der Aufklärung überfremdet). Aber wenn wir „Vater unser im Himmel“ beten, sprechen wir zum Gott Israels!

So viel Judentum steckt in unserem Weihnachten

Am Sonntag feiern wir den 1. Advent, bald ist Weihnachten. Wieder werden wir in unseren Liedern altvertraute Begriffe hören: „Halleluja“, „O komm, Immanuel“ und „Hosianna, Davids Sohn“ – alles hebräische Begriffe! Doch haben Sie schon einmal eine Krippe gesehen, in der Maria und Josef als religiöse Juden dargestellt sind? Merkwürdig: Wir haben uns längst an einen „heidnischen“ Jesus gewöhnt und halten dies für die normale christliche Tradition!

Immer wieder Versuche, das Jüdische zu tilgen

Unfassbar erscheint uns heute der Versuch der „Deutschen Christen“ im Nationalsozialismus, Bibel und Gesangbuch von allem „Jüdischen“ zu reinigen. Dazu wurde eigens ein Institut in Eisenach gegründet, getragen von zahlreichen Landeskirchen. Ähnliche Versuche, „Israel“ aus der Bibel zu entfernen, gab es unlängst in Dänemark. Doch hinter dem Antisemitismus (manchmal versteckt als „Antizionismus“) mit seinen immer neuen Spielarten steckt eine viel grundlegendere Entfremdung zwischen Kirche und Israel. Die Zeit ihrer größten Machtfülle wurde für die christliche Kirche in Europa zugleich die Zeit ihrer größten Verblendung: Juden galten als verflucht, sie wurden als „Gottesmörder“ beschimpft und der Brunnenvergiftung bezichtigt. Eine verkehrte Theologie gab den Zündstoff für die Judenpogrome, durch die bereits im Mittelalter blühende Gemeinden am Rhein ausgerottet wurden. Diese Fehlentwicklung wird heute von allen Kirchen bedauert.

Rachegott gegen Liebesgott?

Allerdings hält sich hartnäckig ein Vorurteil auch in manchem treuen Kirchgänger: Anfang des 20. Jahrhundert formulierte der Berliner Theologe Adolf von Harnack, Judentum und Christentum seien getrennte Religionen, und die Kirche sollte endlich das Alte Testament als „überholt“ hinter sich lassen. Entsprechend fremdeln viele Leserinnen und Leser mit dem ersten Teil der Bibel. Das Vorurteil lautet: Im Alten Testament begegnet uns ein „Rachegott“, während Jesus uns den „Liebesgott“ gebracht haben soll. Wer tiefer in die Bibel einsteigt, findet dies nicht bestätigt. Altes und Neues Testament ergänzen und bestätigen einander!

Passend zu dieser Distanz gegenüber dem Alten Testament wird der Staat Israel oft kritisch gesehen: Die alten Geschichten der Bibel hätten ja nichts mit dem modernen Israel zu tun. Doch damit wird auseinandergerissen, was zusammengehört: Gott hat sich eben dieses Volk erwählt, er stellt sich zum „Land der Verheißung“ und ist entschlossen, seine Geschichte mit Israel fortzuschreiben – zum Segen für die Menschheit. Haben Christen dies im Blick, wenn sie ihre „Solidarität mit Israel“ kundtun?

Gott steht treu zu seinem Volk

„Wenn der HERR nicht für uns gewesen wäre – so soll Israel sprechen –, wenn der HERR nicht für uns gewesen wäre, als die Völker sich gegen uns erhoben, dann hätten sie uns lebendig verschlungen, so groß war ihr Hass auf uns“ (Psalm 124, V. 1-3). Gott steht zu seinem Volk – darin liegt das Geheimnis Israels! Es ist Gottes Treue gegenüber Israel, unabhängig von seiner Frömmigkeit oder Fehlerhaftigkeit, die sich durch die Geschichte zieht. Wenn wir uns an Gottes Wort orientieren, sollten auch wir zu seinem Volk stehen. Und wir können mit und für Israel beten: „Die auf den HERRN vertrauen, sind wie der Berg Zion; er steht fest und sicher und hat für immer Bestand. So wie die Berge Jerusalem umgeben und schützen, so umgibt und schützt der HERR sein Volk, jetzt und für alle Zeit“ (Psalm 125, V. 1-2).

Advent heißt: Hoffnung für die Welt

In wenigen Wochen feiern wir Weihnachten. Hören wir genau auf die Texte, horchen wir in die Lieder hinein! Versprochen wird das Kommen eines Königs, der Frieden bringt. Der Christus der Christen ist der Messias Israels. Zu Weihnachten feiern wir seine Geburt als unscheinbarer Mensch. Doch am Ende der Weltgeschichte wird er sichtbar wiederkommen, um sein Friedensreich aufzurichten, für Israel und alle Nationen. Hinter dem, was wir als Advent feiern, steht genau diese großartige Zukunftsperspektive: Hoffnung für unsere Welt!


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Swen Schönheit

Swen Schönheit ist evangelischer Pfarrer in Berlin-Heiligensee und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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3 Gedanken zu “Warum wir zu Israel stehen

  1. Gott scheint seine Gemeinde in diesen Tagen zu den einfachen, ursprünglichen Wahrheiten zurückzuführen. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Matthäus 13,9.43; Offenbarung 2-3)

  2. Als „Heiden-Christen“ sind wir nur „eingepftopft“ in den Ölbaum (Israel). Wer die Bibel kennt (insbesodere Römer 9-11), sollte das wissen. Eigentlich nicht nachvollziehbar, wie dieses Wissen im Verlaufe der Kirchengeschichte „verlorengegangen“ sein konnte. Nicht nur dem Volk Israel hat Gott „einen Geist der Betäubung gegeben“ (Römer 11,8), sondern den Christen offenbar auch. Und tatsächlich: „Gott hat alle zusammen in den Ungehorsam eingeschlossen, damit er sich aller erbarmt.“ (V. 32) Sich als Christ über Juden bzw. Israel ob ihrer „Verstocktheit“ zu erheben, wäre daher ziemlich unangebracht. Vielmehr sollten wir dem Volk Israel dankbar sein für das über seine gesamte Geschichte hinweg erduldete Leid infolge seiner Erwählung durch Gott, ohne die der Heilsplan Gottes für die gesamte Menschheit nicht hätte realisiert werden können.

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