Es gibt eine geistliche Welt, die uns unsichtbar umgibt: Pastor Tobias Kirschstein erzählt von einer kuriosen Begegnung eines Pfarrkollegen, wo sich Trauma und Einsamkeit mit okkulten Ideen mischten. Doch Gott will Ketten sprengen – heute wie zur Zeit des Neuen Testaments.
Neulich erzählte mir ein Kollege von einem merkwürdigen Besuch. Herr Meier (Name geändert) aus seiner Gemeinde hatte ihn angerufen: Er wolle ganz dringend mit ihm reden, er müsse unbedingt vorbeikommen. Worum es gehe? „Um Jesus, aber mehr will ich Ihnen nicht vorher sagen.“ Nun könnte man meinen, Gespräche „über Jesus“ seien Alltag eines Pastors. Sind sie aber nicht. In meiner Amtszeit hat sich bislang noch nie jemand in dieser Art an mich gewandt.
Der Kollege fuhr also hin, etwas argwöhnisch. Herr Meier, ungefähr 55 Jahre alt, erwartete ihn schon vor dem Haus. Er solle schnell reinkommen und leise sein. Sein Wohnzimmer war das eines einfachen Menschen. Außer, dass überall Engelsstatuen herumstanden. Er fing an zu erzählen: Es ging tatsächlich um „Jesus“ – der wäre in den 70ern wiedergeboren, hätte erst bei der Polizei gearbeitet und dann aber sein inkarniertes Wesen als „Geistheiler Sananda“, oder auch „Jesus“ erkannt. Seitdem helfe er Menschen. Das Ende der Welt, die im Übrigen eine Scheibe sei, stehe auch bald bevor. Die Bibel sei komplett gefälscht, die Originale habe er bei einem Klosteraufenthalt gesehen. Er selbst sei eigentlich Josef, „weißer Priester“ und Engelsmedium und wolle in dieser Zeit, in der das Böse und die Dunkelheit immer mehr Überhand gewinne, durch seine Lichtkraft Vergebung und Liebe hinaussenden.
Ein einsamer Mensch hat sich in die eigene okkulte Weltsicht verstrickt
Keine religiöse Idee, keine Verschwörungstheorie, die Herr Meier nicht zu einer ganz eigenen okkulten Weltsicht verwoben hätte. Heraus kam schließlich, dass er in Kindheit und weiterem Leben schwer misshandelt worden war und keinerlei (!) echten Kontakt zu anderen Menschen hatte: Seine Kinder hätten sich von ihm abgewandt, die Nachbarn stünden auf der Seite der Dunkelheit und würden ihn verfolgen, andere Menschen nähmen Reißaus vor seinen Missionsversuchen. Sein einziger Kontakt: Briefaustausch mit anderen „Erleuchteten“.
„Wie bist du damit umgegangen?“, fragte ich meinen Kollegen. Er sagte: „Ich habe mir alles erzählen lassen und dabei die Frage im Geist und im inneren Gebet bewegt: ‚Was kann ich diesem Mann Gutes tun? Mich als Seelsorger aktiv wieder mit ihm treffen?’“ (Weil mein Kollege offenbar der einzige Mensch war, der nicht sofort vor Herrn Meier wegrannte.) „Oder einen psychosozialen Dienst einschalten, weil es sich vielleicht um Schizophrenie handelt?“
Gottes Geist kann Ketten sprengen
Ich selbst wüsste auch nicht, was ich in einer solchen Situation tun sollte. Eins aber ist mir sehr deutlich geworden: Da war ein Mensch, der dringend Hilfe brauchte. Einer, der sich so tief in ein toxisches okkultes Denksystem vergraben hatte, dass er alles und jeden von sich wegstieß. Hier war ein Kind Gottes ganz tief in geradezu dämonische Fänge verstrickt. Das Neue Testament erzählt immer wieder von Menschen, wo das der Fall ist. Martin Luther nennt es „verstrickt in sich selbst sein“. Wahrscheinlich haben wir immer mal wieder Anteile davon in uns: Jeder baut sich sein metaphysisches Gedankensystem, in dem alles einen Sinn zu haben scheint, und das ihm mehr oder weniger hilft, mit dem Bösen – was es ja tatsächlich auf dieser Welt gibt – klarzukommen. Und uns alle beeinflusst ein solches Gedankensystem auf die eine oder andere Art und Weise zur Freiheit oder zur Unfreiheit.
Die meisten Menschen verstecken das gut. Verstecken es vor anderen oder vor sich selbst und sind trotzdem in gewisser Weise ähnlich abgeschnitten von der Wahrheit wie Herr Meier. Wahrheit, die frei macht, so meine ich, ist nur in Beziehung zum echten Jesus Christus – und gebrochen durch die Vorläufigkeit unseres Erkenntnisvermögens – zu finden.
Gottes Kraft kann durch uns wirken!
Aber Gott lässt uns nicht allein damit. Durch seinen Geist kann er Ketten sprengen. Ich denke an die Dämonenaustreibungen, für die Jesus bekannt war, und die er auch seinen Nachfolgern zutraut: „An folgenden Zeichen sind die Menschen zu erkennen, die an mich glauben: Sie werden in meinem Namen Dämonen austreiben“ (Markusevangelium Kap. 16, V. 17). In diesem Sinne bin ich fest davon überzeugt, dass niemand restlos verloren ist. Uns ist zugesagt, dass Gottes Kraft durch uns wirken kann! „Um Mitternacht beteten Paulus und Silas und sangen Loblieder für Gott. Die anderen Gefangenen hörten ihnen zu. Plötzlich gab es ein starkes Erdbeben, das die Fundamente des Gefängnisses erschütterte. Da sprangen alle Türen auf, und die Ketten fielen von den Gefangenen ab“ (Apostelgeschichte Kap. 16, V. 25-26).
Kirche auf dem Land –
Begegnungen mit Gott und Geschichten vom Reich Gottes,
erlebt von Pfarrern und Pfarrerinnen auf dem Land.
Ich bin auch fest überzeugt, dass Jesus alle Ketten sprengen kann. Gerne würde ich erfahren, wie es bei Herrn Meier weiter gegangen ist. Hat er ein Gebet zugelassen? Konnte er zu “ Jesus, unserem Retter“ finden?
Och, schade, ein „Cliffhanger“… 🙂 Nach dieser „Einleitung“ hätte ich jetzt gern gelesen, wie die Sache weitergegangen ist… Ich hoffe, es gibt eine Fortsetzung der Geschichte. 🙂