Im Liegen, auf Knien, mit Worten und Liedern, still: Superintendent i.R. Peter Heß betet schon sein Leben lang. Wie ihn das freundlich gemacht und geführt hat und welcher Gebets-Liturgie er heute folgt, erzählt er im Gespräch mit Eva Heuser.
Gebet ist, simpel gesagt, Reden mit Gott. Peter, das hast Du Dir als Thema für unser Gespräch heute ausgesucht. Wie redest Du mit Gott?
Da gibt es eine ganze Palette an Ausdruckformen! Ich rede Gott meistens als Vater an, aber auch den Sohn, den Heiligen Geist – in der ganzen Breite der Dreieinigkeit. Ich danke für das, was mir begegnet, ich spreche gerne Heilswirklichkeiten aus – dass ich Gottes Kind bin, dass Gott groß und mein Herr ist … – das ist auch Anbetung. Eigentlich bin ich wie die Roman- und Filmfiguren Don Camillo und Peppone: Ich rede den ganzen Tag mit Gott.
Aus vielen Traditionen hast Du Dir im Lauf Deines Lebens das Beste behalten – pietistisch, lutherisch, charismatisch. Einflüsse aus kommunitären Gemeinschaften. „Gebundenes Gebet“ gemischt mit „freiem Gebet“.
Das kann man so sagen! Ich komme aus einem pietistischen Elternhaus, da wurde vor allem frei gebetet. Mit 16 Jahren hat mich der Herr dann richtig erwischt. In dieser Zeit habe ich die Litaneien der Evangelischen Marienschwesternschaft kennengelernt: festgelegte Gebete an Jesus, den Vater und den Heiligen Geist. Gleichzeitig auch erste „charismatische“ Impulse: Sprachengebet, freies Singen und Beten, Eindrücke, die der Geist Gottes schenkt. Es gab aber auch Zeiten, wo ich nur still vor Gott war. Nicht zuletzt wurden mir die Psalmen wichtig: einzutauchen in den Gebetsstrom der Beter durch die Geschichte der Kirche hindurch.
„Ich beginne jeden Tag mit einer festen Gebetsstruktur.“
Du sagst, dass sich im Lauf der Zeit eine Art „Liturgie“ des Gebets entwickelt hat. Was meinst Du damit?
Ich beginne jeden Tag mit einer festen Struktur im Gebet. Ich danke Gott für die Ruhe der Nacht, für seinen Schutz. Ich vertraue darauf, in ihm geborgen zu sein. Dann segne ich meine ganze Familie in ihren Lebensbereichen Schule, Ausbildung, Arbeit, in ihren Beziehungen, ihren Herausforderungen. Ich nehme Gottes Schutz für sie in Anspruch und bitte stellvertretend, „priesterlich“, um Vergebung. Ich erneuere mein Taufbekenntnis für mich und stellvertretend für sie, sage dem Teufel ab und stelle uns unter Gottes Herrschaft. Ich rufe die Wahrheiten aus den Paulusbriefen aus, über die Pfarrer Burkhard Hotz einmal auf einer GGE-Tagung gepredigt hatte: dass wir Geliebte und Angenommene sind, Versorgte, mit Gott Versöhnte, Söhne und Töchter des Vaters und Miterben Christi!
Dann gehe ich nach außen: Ich bete für die Gemeinde vor Ort, für die GGE, für die Kirche, für die Geschwister in anderen Kirchen und Werken, für Land und Regierung, für Europa, das EU-Parlament und die EU-Kommissare, für Israel, für verfolgte Brüder und Schwestern, für Krisenorte der Welt.
Es ist eine Bewegung von innen nach außen. Es mag egoistisch klingen, dass ich bei mir anfange, aber das muss so sein, das brauche ich! Wenn ich selbst nicht in Gott ruhe, kann ich nicht nach außen gehen.
Peter, Du bist jetzt 73 – hast Du in verschiedenen Phasen Deines Lebens anders gebetet?
Vor allem als junger Christ war ich viel in der Stille vor Gott und habe mehr gekniet als gesessen … Dieses Stillsein darf heute noch mehr werden! Ich bin noch zu unruhig. Mit ungefähr 50 habe ich interessanterweise gern im Liegen gebetet. Ich war in meiner dritten Pfarrstelle und habe mich morgens in der Versöhnungskirche in Plauen unter dem Kreuz auf den Bauch gelegt. Irgendwann hat mir meine Gemeinde dann einen Gebetsteppich geschenkt! (lacht)
Das verlockt aber sehr zum Einschlafen …
Das ist ganz gesund, wenn das passiert! Ich sage immer, man sollte besser im Gottesdienst schlafen als zuhause, denn da geht noch etwas von Gott in unser Unterbewusstsein über.
„Durch Gebet bin ich aufmerksamer geworden.“
Gebet ist Dein Leben. Hast Du Dich dadurch verändert?
Ich bin aufmerksamer geworden. Ich versuche, alles in ein Gebet zu verwandeln. Wenn ich in einer Arztpraxis im Wartezimmer sitze, segne ich still die Menschen um mich herum. Oder ich bete für die Kassiererin im Supermarkt. Ich segne den Autofahrer, der mich anhupt. Ich versuche, die Schöpfung bewusst wahrzunehmen, und danke für jede Blume, die Wolken, den Wind, die Sonne … Das zieht sich durch meinen ganzen Tag.
Das bringt mich auf den Begriff „Achtsamkeit“. Es geht um bewusstes Leben, um Entschleunigung, Stressabbau, Fokussierung, Innerlichkeit – und man redet darüber so viel, weil die Leute nicht mehr wissen, wie das geht. Du hattest vor Deiner Pensionierung als Superintendent Verantwortung für mehr als 20 Pfarrer und Pfarrerinnen im Kirchenbezirk Glauchau (Sachsen). Wie geht da Achtsamkeit?
Für mich gehören Achtsamkeit und Wertschätzung zusammen. Ich kann gerne wertschätzen! Das bringt ein ganz anderes Miteinander. Es gab auch kritische Gespräche, in denen ich einen Pfarrer in eine Wartezeit schicken oder versetzen musste. Doch ich habe immer erst etwas Wertschätzendes mitgeteilt, dann erst das Nachdenkliche. Ich musste aber immer betonen, dass ich das Lob wirklich ernst meine! Das wurde mir erstmal nicht geglaubt.
Gott hat mich durch das Gebet in eine andere Wahrnehmungsfähigkeit gezogen. Ganz früher war ich sehr kritisch, ein eher angriffslustiger Christ, auch teilweise „gesetzlich“.
Oft erfahren wir ja selbst nicht viel von dem, was unser Gebet bewirkt. Wie ist das bei Dir?
Wenn ich über mein Leben nachdenke, sehe ich, wie klar Gott uns durch den Heiligen Geist geführt hat, zum Beispiel beim Wechsel von einer beruflichen Stelle zur anderen. Ich bin ja zuerst Elektriker gewesen und habe dann meine theologische Ausbildung gemacht.
„Ich bin so eine ,Glaubenspfeife’! Und ständig beschämt mich Gott mit seinem Wirken.“
Gab es auch mal Rückmeldungen von außen?
Einmal bin ich in eine Bäckerei gegangen, nach einer langen Gebetszeit mit meiner Frau. Die Verkäuferin sprach mich sofort an: „Herr Pfarrer, Sie strahlen ja so!“ Ich sagte nur: „Ich habe ja auch gerade eine Stunde gebetet!“ Die Gegenwart Gottes verändert uns.
Ein anderes Mal war ich in einem seelsorgerlichen Gespräch mit einer Frau, die sich in einer sehr kritischen Situation befand. Beim Zuhören habe ich still in Sprachen gebetet. Später gestand sie mir unlautere Absichten, sie sei aber „nicht an mich herangekommen“. Gebet schützt uns.
Meine Frau hat mir morgens einmal berichtet, ich hätte nachts im Schlaf gejammert und „Jesus“ gerufen. Ich konnte mich an nichts erinnern – das war das ständige Gebet des Heiligen Geistes in mir! Ich bin kein Glaubensheld. Wenn ich jemanden in der Seelsorge habe, bei dem auch geistliche Bindungen gelöst werden müssen, dann tue ich das mit ihm im Gebet. Und wenn derjenige zur Tür rausgeht, denke ich: „Mist – und wenn jetzt nichts passiert?“ Ich habe schon angerufen und nachgefragt, nur um dann zu hören: „Peter, alles ist gut!“ Ich erlebe ständig, dass Gott mich mit seinem Wirken beschämt, obwohl ich so eine „Glaubenspfeife“ bin! Meine Erwartung ist immer viel geringer als das, was Gott tut.
Was für eine wunderschöne „Gebetsliturgie“. Danke für dieses ermutigende Interview.
Lieber Uwe Hanis,
Es macht mich froh, dass es Dein Herz berührt hat. Mehr geht nicht. Sei gesegnte!
Treffpunkt vor dem Thron des Vaters.!
Es ist so gut, klare Worte zu lesen. Ich kann alles gut nachvollziehen und verstehen. Ich freue mich, dass Peter mit seinen gebetserfahrungen mir und anderen hilft. So unterstützen wir uns im glauben an Gott. Mir geht es ähnlich wie ihm. Morgens und abends ein relativ strukturiertes Gebet. Den Tag über ein unterschiedlich intensives Reden mit Gott.
Danke für den Beitrag.
Bleibt behütet
Hallo Christine,
super, dass es ähnliche Erfahrungen gibt. Nun haben wir auch eine gemeinsame Geschichte in den frühen Jahren unseres Glaubensweges.!