Lindner-Hochzeit: Eine kirchliche Trauung mit Kollateralschäden

Bundesfinanzminister Christian Lindner und die Journalistin Franca Lehfeldt sind beide lange aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem haben sie jetzt kirchlich auf Sylt geheiratet. Henning Dobers kommentiert die evangelische Promi-Hochzeit des Jahres.

Um es gleich vorweg zu sagen: Dass ein Bundesfinanzminister bei seiner Hochzeit nicht aufs Geld geschaut hat, hat viele irritiert. Allerdings geht es bei der Trauung des Ehepaars nicht ums Geld, sondern um viel mehr. Es geht um immaterielle Werte, es geht ums Prinzip. Und das wurde gleich in mehrfacher Hinsicht verletzt.

Erstens. Eine kirchliche Trauung oder auch eine Konfirmation ist – nach evangelischem Verständnis – im Unterschied zu Taufe und Abendmahl kein Sakrament, sondern eine sinnvolle kirchliche Segenshandlung an einem der wichtigsten Punkte des Lebens. Sakramente hingegen sind von Jesus eingesetzte und mit seiner Lebenshingabe ermöglichte Heilsmittel und Zeichen der Liebe und Treue Gottes, die im Glauben ergriffen werden wollen. Ein Sakrament sollte deshalb nur in äußerst außergewöhnlichen Situationen aufgeschoben oder gar verweigert werden.

Bei einer Trauung ist das anders. Nach evangelischem Verständnis lässt sich auch ohne kirchliche Trauung eine gesegnete Ehe führen, weil sie Teil der Schöpfungsordnung und nicht der Erlösungsordnung ist. Auch Muslime, Hindus oder Atheisten haben aufgrund der Schöpfungsordnung Teil am Segen. Wenn jedoch ein Ehepaar vor den kirchlichen Traualter tritt, bringen sie damit explizit zum Ausdruck, dass sie ihre Ehe christlich führen wollen. Dazu gehört in der Regel der Wille, Kinder bekommen zu wollen und nach christlichen Prinzipien dazu beizutragen, dass die Welt ein besserer Ort wird, und dazu gehört auch das Bewusstsein, Teil einer christlichen Gemeinde zu sein. Es geht also nicht um ein privates Ehepaar, sondern immer auch um ein Ehepaar als Teil einer verbindlichen christlichen Gemeinschaft.

Zweitens. Ganz grundsätzlich gilt für den christlichen Glauben: Ich bin durch Taufe und Glaube nicht nur Kind meines Vaters, sondern damit immer (!) auch Teil einer großen Familie des Vaters. Berühmt ist in diesem Zusammenhang das Votum von Nikolaus Graf von Zinzendorf (1700-1760): „Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft“.

Die Eheleute Lindner sind viele Jahre vor ihrer Eheschließung aus der Kirche ausgetreten. Das passiert nicht mal so eben nebenbei. So ein Schritt wird häufig lange überlegt und dann schließlich aktiv vollzogen. Es ist in den meisten Fällen kein emotionaler Betriebsunfall, sondern der sehr bewusst vollzogene Akt, sich von der Gemeinschaft der Glaubenden zu trennen. Das weit verbreitete Argument „Wenn ich aus der Kirche austrete, bedeutet das ja nicht, dass ich nicht mehr glaube“ ist ein altbekannter, häufig gebrauchter und dennoch wenig überzeugender Klassiker. Ihm liegt ein kolossales individualistisches Missverständnis zugrunde: Denn der christliche Glaube ist zutiefst Gemeinschaftsreligion. Wenn man sich also kirchlich trauen lässt und gleichzeitig sagt, ich will nicht dazugehören, nutzt man die kirchliche Kulisse und reduziert doch den Glauben auf ein privatreligiöses Verhältnis. Diese individualistische Haltung ist zwar verbreitet, wird dadurch aber nicht richtiger. Umso tragischer, wenn kirchliche Amtsträger diese Haltung durch ihr Mitwirken bestärken, indem sie sogar einem säkularen Philosophen, der der Überzeugung ist, dass das Christentum „gescheitert“ ist , für die Trauansprache die Kanzel überlassen.

Drittens. Es kommt hinzu: Jeder Prominente und jede Führungskraft hat aufgrund seiner Position und der ihm anvertrauten Macht immer auch eine Vorbildfunktion. Politiker allzumal, Minister noch viel mehr. Denn deren Primärjob besteht ja darin, zu dienen („minister“, lat. „Diener“). Indem Christian Lindner öffentlich und mit großer medialer Begleitung tut, was er getan hat, signalisiert er: Seht her, man kann aus der Kirche austreten, über viele Jahre dem Reich Gottes Geld vorenthalten und dennoch bekommt man den vollen Service, wenn man ihn wünscht. Die Trennung von der Gemeinschaft der Glaubenden hat also keinerlei Konsequenzen.

Viertens. Und dann geht es auch ums Geld. Das Geld, das wir haben, geben wir für das aus, was uns wichtig ist. Zum Beispiel für ein Brautkleid, das allein 10.000 Euro gekostet haben soll. Offensichtlich hat Geld in diesem Fall keine Rolle gespielt, bei der Kirchensteuer aber schon.

Ich habe in den 30 Jahren meines bisherigen Pfarrdienstes lediglich zwei Personen erlebt, die sich von der Kirche getrennt haben und danach aus innerer Überzeugung heraus monatlich weiter christlichen Gemeinden und Diensten Geld gespendet haben. Alle anderen, wirklich ausnahmslos alle, haben davon gesprochen, dass sie das eingesparte Geld nun anderen wohltätigen Organisationen spenden würden. Nichts dergleichen ist jemals geschehen. Es war lediglich eine sentimentale Plauderei.

Fünftens. Die öffentlich zelebrierte kirchliche Trauung von prominenten Nicht-Kirchenmitgliedern irritiert und verletzt jene, die seit Jahren in guten wie in schlechten Zeiten zu eben dieser Kirche halten und dieser Gemeinschaft ihr hart verdientes Geld anteilig anvertrauen. Es geht hier nicht um Vereinsmeierei, sondern um christliche Solidargemeinschaft.

Sechstens. Die kirchlich vollzogene Segnung des Ehepaars Lindner beschädigt die ohnehin schon angeschlagene Reputation und Relevanz der Kirche in der Öffentlichkeit noch einmal mehr. Es führt dazu, dass insbesondere hochverbundene und kirchlich engagierte Mitglieder den begründeten  Eindruck gewinnen, dass die Kirche nicht mehr zu ihren eigenen Werten steht. Das wiederum führt dazu, dass die Kirche zusätzlich zu den zahlreichen Austritten nun ausgerechnet auch noch jene verliert, die ihr am treuesten dienen.

Henning Dobers

Henning Dobers ist Pfarrer und 1. Vorsitzender der GGE Deutschland.

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7 Gedanken zu “Lindner-Hochzeit: Eine kirchliche Trauung mit Kollateralschäden

  1. Diese Meinung von Pfarrer Henning Dobers macht mich sprachlos…deshalb schreibe ich meinen Kommentar dazu 😉
    Ich sehe es, wie Frau Mohring, komplett anders wie Herr Pfarrer. Gottes Wirken ist autonom und richtet sich nicht nach der Meinung der evangelischen, katholischen oder orthodoxen Kirche oder einer Mitgliedschaft in diesen.
    Gott sieht in das Herz und möchte Herzen gewinnen. das sollten auch im übrigen Pfarrer tun. Das dies nun sowohl in der evangelischen wie auch katholischen Kirche gar nicht gut gelingt, zeigen die seit Jahren verheerenden Austrittszahlen in Deutschland.
    Ich finde es ein ermutigendes Zeichen, wenn Menschen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, trotzdem den Bezug zu Gott weiterhin suchen. Bravo!
    Herr Dober fordert Solidarität mit der Kirche – aber darum geht es im Glauben nicht. Es geht um Solidarität mit Gott und den Menschen.
    Die Kirche hat schon längst den Anspruch verloren, die Alleinhoheit der Bibelinterpretation und Gottesinterpretation zu haben. Ich kann christliche Gemeinschaft auch ohne die herrschende Institution Kirche leben – Gott sei Dank!
    Mein Glaube an Gott ist und bleibt an erster Stelle zutiefst individuell und privat; auch wenn ich ihn mit anderen Christen teile. Wir müssen es schon aushalten können, wenn andere Menschen eine andere Auffassung haben, ohne sie gleich niederzubügeln. Das gelingt, wenn der Glaube / Meinung eines anderen meinen Glauben nicht verletzen kann, weil er tief in Gott gegründet ist, und nicht in einem Menschen oder einer Institution wie der herrschenden Kirche.
    Ich wünsche Herrn Pfarrer Dober – wie uns allen – den Heiligen Geist, damit er wirklich mit seinen Mitstreitern eine Gemeindernerung auf den Weg bringt, die den Namen auch verdient!
    Gerne bin ich zu einem Austausch bereit!

  2. Vielen Dank für die klaren Worte.

    Ich habe sie ausgedruckt und hänge sie an die Info-Pinwand, weil das Thema „Lindner-Trauung“ doch so einige bewegt.

  3. Danke für Deine ausgiebigen und klaren Worte. In etwas kürzerer Form solltest Du Henning Ehepaar Lindner schreiben und sie einladen Glied der Ev. Kirche und somit der Gemeinschaft zu werden. Das wäre zumindest für Ehepaar Lindner ein konsequenter Schritt!

  4. Das kann man auch anders sehen. Ich sehe eine grosse Chance darin, Paaren eine christliche Trauung zu ermöglichen, wenn sie sich dies wünschen, ganz unabhängig von ihrer Kirchenmitgliedschaft und Vorgeschichte. Das Paar, die Familie, Freunde und Gäste können eine neue gute Erfahrung mit Kirche machen und eine richtig gute Predigt hören.
    In der Holy Trinity Brompton Church in London nehmen jedes Jahr Hunderte von Paaren am PreMarriage Course teil, einer Serie von 5 Treffen zu Beziehungsthemen. Ein grosser Teil der Paare hat keine kirchliche Bindung. Einige Teilnehmer entdecken durch den Kurs den Glauben ganz neu. Solche Chancen, die durch eine Kultur der Gastfreundschaft entstehen, sollten wir nicht ungenutzt lassen. Gott kann dadurch wirken, davon bin ich überzeugt.

  5. Das was Brd.Dobers schreibt
    ist völlig klar deutlich und richtig. Er bringt das Problem auf den Punkt. Das Traurige ist, dass das für den in der Kirche Verantwortlichen keinerlei schmerzhafte Konsequenzen haben wird. Kirchenleitung völlig abgetaucht ! Jeder Pfr. scheint sein eigener Bischof zu sein. Deshalb meine Konsequenz: noch inniger beten für unsere Ev.Kirche und deren Mitarbeiter ! Vor allem aber für eine geistliche Wende zum Zentrum : Jesus Christus ! – und für die theol.Ausbildung. Dass diese Kirche noch besteht ist für mich ein absolutes Wunder. Gottlob schuf der Geist Gottes aber neue geistliche Gemeinschaften, wie z.B die evangelischen Freikirchen, Missionswerke , Ev. Ordensgemeinschaften oder geistliche Einkehrzentren. Ich bin absolut sicher! – die “ Pforten der Hölle“ werden sie christlichen Kirchen nicht überwältigen ! “ Wie es Jesus uns zugesagt hat. !!

  6. Diese Worte und Gedanken drücken genau das aus, was man empfindet, wenn man als kirchlich engagierter Mensch solche Nachrichten lesen muss.

    Danke für die klaren Worte

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